Die Analyse der Berliner Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 zeigt nach dem Urteil der drei Autorinnen, wie sich das Zusammenspiel von Wahlrecht und den Nominierungspraktiken der Parteien positiv bzw. negativ auf die Anteile von Frauen im AGH auswirken kann. Überraschend sei, dass durch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse - speziell durch den Sieg der CDU - mehr Frauen als Abgeordnete zum Zuge gekommen sind. Das erklärt sich unter anderem aus der Tatsache, dass die CDU 2023 mehr Wahlkreise gewonnen hat, in denen Frauen nominiert waren. Im Ergebnis errangen zwölf statt drei Frauen ein Direktmandat. Zwar kommt die CDU-Fraktion im AGH damit immer noch auf einen vergleichsweise niedrigen Frauenanteil von 25 Prozent; doch konnte sie diesen gegenüber 13 Prozent (2021) fast verdoppeln.
Mehr Männer verloren bei der SPD ihre Wahlkreise
Andererseits führte der Verlust von Wahlkreisen bei der SPD dazu, dass deutlich mehr Frauen Mitglieder der SPD-Abgeordnetenhausfraktion wurden. Die Autorinnen resümieren: „Dem Verlust von SPD-Direktmandaten, der überwiegend zulasten von Männern ging, ist es zu verdanken, dass mehr Frauen als 2021 im Parlament vertreten sind: Der Frauenanteil verbesserte sich von 39 % (2021) auf fast die Hälfte (47 %), da über die quotierten Listen mehr Frauen (16) in das Abgeordnetenhaus einzogen. In der SPD-Fraktion finden sich nun 16 Frauen und damit zwei mehr als nach der Wahl 2021.“
Quotierte Höchster Frauenanteil bei Grünen und Linken
Unverändert haben Bündnis 90/Die Grünen und Linke haben die höchsten Frauenanteile: Die Grünen haben gegenüber 2021 sogar um weitere sechs Prozentpunkte von 53 % auf 59 % hinzugelegt (von insgesamt 34 Mandaten gingen 20 an Frauen). Der Frauenanteil bei der Linken verringerte sich von 54 auf 50 %, da zwei Frauen ihre Wahlkreise verloren haben. Die Partei kommt somit nur noch auf 22 Mandate (jeweils 11 Männer und 11 Frauen).
Die Tatsache, dass es die FDP – 2021 zwei ihrer zwölf Mandate waren mit einer Frau besetzt (17%) –bei der Wiederholungwahl nicht schaffte, die Fünfprozenthürde zu überwinden, bewirkte eine Verbesserung des Frauenanteils insgesamt im Abgeordnetenhaus. Mit der AfD verschlechtert er sich um minus drei Prozentpunkte (2021 noch 15 Mandate, jetzt 17), davon zwei Frauen (Anm: 1 Abgeordneter ist inzwishen fraktionslos).
Die Verteilung nach Fraktionen (Mandate, weibliche Abgeordnete)
CDU 52 | 12
SPD 34 | 16
Grüne 34 | 20
Linke 22 | 11
AfD 17 | 2 (inzwischen nur noch 16:2)
Quotierte Listen haben sich nach der FES-Analyse als wirksames Instrument bewährt. Das zeigten insbesondere die verbindlichen internen Regelungen bei SPD und Linken zu paritätischen Listen sowie die Mindestquotierung von 50 % bei Bündnis 90/Die Grünen. Unverbindliche Regelungen, wie das bisherige 30-Prozent-Quorum der CDU, oder das Fehlen von Regelungen wie bei FDP und AfD minderten hingegen erheblich die Chancen von Frauen.
Frauen bei Wahlkreiskandidaturen deutlich benachteiligt
Das in Berlin vorherrschende personalisierte Verhältniswahlrecht mit dem System der Direktkandidaturen über Wahlkreise (Erststimme) hat sich bisher zulasten der Wahlchancen von Frauen ausgewirkt. Besonders in als aussichtsreich geltenden Wahlkreisen wurden bei CDU und SPD bisher eher Männer als Frauen nominiert (im Durchschnitt 64 % Männer gegenüber 36 % Frauen).
Mehr Spitzenpositionen bei Senat und Bezirken für Frauen
Die Studie stellt heraus, dass nach dem Machtwechsel im Roten Rathaus Kai Wegner (CDU) als Regierender Bürgermeister den Senat mit sieben Senatorinnen und drei Senatoren noch weiblicher besetzt als zuvor (bisher unter Giffey sechs Senatorinnen und vier Senatoren). Den Regierenden Bürgermeister mit eingerechnet, liegt der Anteil von Frauen erneut im Senat bei 64 %, auf der Ebene der Staatssekretär:innen bei 42 %. Der Frauenanteil in den Bezirksverordnetenversammlungen ist zwar gegenüber der Wahl 2021 leicht um 1,8 Prozentpunkte von 42,9 auf 41,1 % gesunken, doch insgesamt liegt Berlin auf kommunaler Ebene deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 28 %. Positiv vermerkt die Wahlanalyse, dass seit der Wiederholungswahl sieben von zwölf Bezirken von einer Frau als Bezirksbürgermeisterin geführt werden (Frauenanteil 58 %, ein Plus gegenüber 2021 von 25 Prozentpunkten).
Zeit für ein Paritätsgesetz
Unter Hinweis auf den Koalitionsvertrag von CDU und SPD, wonach verfassungsrechtlichen Möglichkeiten eines Paritätsgesetzes zu prüfen sind, resümieren die drei Autorinnen, dass sich damit auch die Berliner CDU erstmals für ein Gesetz als Garant einer tatsächlich gleichberechtigten Teilhabe positioniert habe.
Für die Autorin Dr. Helga Lukoschat (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft) bestätigt sich: „Parität in den Parlamenten ist ein zentrales demokratisches Anliegen. Unsere Studie zeigt deutlich, wo Stellschrauben liegen: in der Ausgestaltung des Wahlrechts und bei den Nominierungspraktiken der Parteien.“ Dr. Nora Langenbacher vom Landesbüro Berlin der FES sieht aufgrund der Studie Rückenwind für das Vorhaben, ein Paritätsgesetz für das Land Berlin umzusetzen, denn „39 % sind nicht ‚Fifty-Fifty‘“.