Nach Auffassung der Gesellschaft Chancengleichheit ist der Bundestag in der Pflicht, durch entschlossenes Handeln der Hetzjagd gegen die hochangesehene Staatsrechtlerin Prof.in Dr.in Frauke Brosius-Gersdorf entgegentreten. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:
ERKLÄRUNG der GESELLSCHAFT CHANCENGLEICHHEIT vom 14.07.2025
Das unverantwortliche Handeln des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn und von Teilen der Unionsfraktion gibt rechten Narrativen und der Hetzjagd auf eine hochangesehene Staatsrechtlerin neue Nahrung | Katholischer Bischof beteiligt sich an Schlammschlacht und Diffamierung
Die Vorgänge um die Neubesetzung von drei Richterstellen für das Bundesverfassungsgericht haben aufgrund der Führungsschwäche des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn eine unverantwortliche Situation im Deutschen Bundestag herbeigeführt. Dadurch wurde nicht nur das Ansehen der Koalition sowie im Weiteren des Bundestages wird beschädigt, sondern es werden auch Zweifel an der Unabhängigkeit des hochangesehenen Bundesverfassungsgerichts genährt. Dies alles, weil Teile der Unionsfraktion die aus ihrer parteiideologischen Sicht unerwünschte, gleichwohl über jeden fachlichen Zweifel erhabene Staatsrechtlerin Prof.in Dr.in Frauke Brosius-Gersdorf als künftige Bundesverfassungsrichterin verhindern wollen. Damit wird hat die Unionsfraktion letztlich rechten Narrativen Nahrung gegeben, indem sie der Hetzjagd aus rechten Kreisen, selbsternannten „Lebensschützern“ und aus rechten Nachrichtenportalen nicht entschlossen entgegengetreten ist.
Mit der unhaltbaren, inzwischen widerlegten Behauptung, es stünden Plagiatsvorwürfe gegen Prof.in Dr.in Frauke Brosius-Gersdorf im Raum, die es angeblich zu klären gelte, hat die Führung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihr Verlangen auf Absetzung der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht begründet. Die unterstellten Plagiatsvorwürfe haben sich, kaum waren sie ausgesprochen, als haltlos erwiesen, ebenso wie die unqualifizierten Unterstellungen gegen die Hochschullehrerin nach dem Muster: Verleumde recht, etwas bleibt immer hängen.
Dass ein Erzbischof der Katholischen Kirche sich in die Debatte einmischt, ist grundsätzlich nicht in Frage zu stellen, aber dann nicht hinnehmbar, wenn die Äußerungen dieses Kirchen-Manns mit der Verbreitung von diffamierenden, sachlich falschen Unterstellungen und abwegigen Behauptungen verknüpft werden.
Es ist unprofessionell und Ausdruck von Führungsversagen, dass der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn und auch Bundeskanzler Friedrich Merz noch fünf Wochen zuvor (nach Angaben der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Hasselmann) dem inzwischen mit Zweidrittel-Mehrheit gefassten Wahlvorschlag des Richterwahlausschusses des Bundestages (Drs. 21/784 vom 07.07.2025) ausdrücklich ihre Zustimmung gegeben hatten und nun nach Widerspruch in der eigenen Fraktion davon abzurücken versuchen. Unstreitig hatten sie zuvor lange genug Gelegenheit gehabt, die Auffassungen der Staatsrechtlerin zu prüfen und in der eigenen CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Zustimmung zu werben. Immerhin hat Prof.in Brosius-Gersdorf als geladene Sachverständige ihre verfassungsrechtliche Beurteilung des von 300 Bundestagsabgeordneten eingebrachten Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages am 10. Februar 2025 sowohl mündlich als auch in einer schriftlichen Stellungnahme dargelegt.
Es bereitet größte Sorge um den Zustand unseres demokratischen Gemeinwesens, dass ein solcher Wahlvorgang im Bundestag nicht sachlich abgearbeitet werden kann, sondern als Gegenstand einer ausufernden, emotional aufgeheizten Stimmungsmache in die Öffentlichkeit getragen wird, in der sich nun sogar Morddrohungen gegen die hochangesehene Staatsrechtlerin Bahn brechen. Die Union sollte nicht nur in Reden ihres Parteichefs Friedrich Merz, sondern auch in ihrer Partei und Fraktion eine klare Haltung gegenüber AfD-nahen Unionsabgeordneten wie beispielsweise der Potsdamer MdB Saskia Ludwig (CDU) einnehmen, die nach vorliegenden Informationen in einem Social-Media-Kanal die gegen Brosius-Gersdorf gerichteten Nicht-Wahl-Aufforderung der AfD mit dem Wort „erledigt“ quittiert hat.
Es war wichtig und sollte der Union zu denken geben, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die parteipolitische Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts und seiner Richter herausgestellt hat. Das ist berechtigt, denn der Auswahl der Richter:innen für den Vorschlag des Bundestagswahlausschusses ist ein umfängliches, sehr sorgsamen Prüfungsverfahren vorausgegangen.
Die Gesellschaft Chancengleichheit fordert die Bundestagsfraktionen von SPD und CDU/CSU auf, an ihrem Dreier-Wahlvorschlag uneingeschränkt festzuhalten und die Wahl im Einvernehmen mit allen demokratischen Parteien alsbald, am besten in einer Sondersitzung des Bundestages noch vor Ende der parlamentarischen Sommerpause, vorzunehmen. Es gilt weiterhin, die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegenüber parteiideologischen Interessen zu wahren. Wo kämen wir hin, wenn rechte Ideologen und selbsternannte "Lebensschützer" die Besetzung des höchsten Organs der deutschen Rechtsprechung bestimmen oder sogar torpedieren dürften?
Die Union sollte angesichts der Tatsache, dass sie gemeinsam mit SPD und Grünen nicht über eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag verfügt, nicht nach rechts – in Richtung AfD – schielen, sondern endlich ihre althergebrachten ideologische Scheuklappen ablegen und zu den erforderlichen Gesprächen mit allen Fraktionen des demokratischen Spektrums im Parlament bereit sein.
Für den Vorstand der Gesellschaft Chancengleichheit e.V.
gez. Dr. Dagmar Schlapeit-Beck (Sprecherin), gez. Holger H. Lührig (Sprecher).
Rechtspolitische Sprecherin: gez. Renate Maltry