EHRENGAST BUCHMESSE zwd-INTERVIEW KATIGBAK-LACUESTA UND WICO SIY : "Das Persönliche spiegelt die Welt": Frauenliteratur auf den Philippinen

19. Oktober 2025 // Redaktion (ug)

Schriftstellerinnen auf den Philippinen haben sich einen Platz in der Literatur ihres Landes erkämpft. Sie stellen herrschende Verhältnisse in Frage, geben Frauen eine Stimme, rücken ihre Erfahrungen in den Mittelpunkt. Der zwd hat mit Mookie Katigbak-Lacuesta (Assembling Alice) und Beverly Wico Siy (It´s a Mens World) über die Rolle von Autorinnen in der Gesellschaft gesprochen. Sie reflektieren über Männer-Dominanz, Frauenrechte, wie sich Kunst und Aktivismus verbinden lassen.

Ehrengast-Auftritt der Philippinen auf der Frankfurter Buchmesse. - Bild: Guest of Honour Philippines
Ehrengast-Auftritt der Philippinen auf der Frankfurter Buchmesse. - Bild: Guest of Honour Philippines

zwd-POLITIKMAGAZIN: Welche Bedeutung messen Sie der Frauenliteratur auf dem modernen philippinischen Büchermarkt bei, welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Schriftstellerinnen in der Literaturszene?

Mookie Katigbak-Lacuesta: Ich messe der Frauenliteratur auf dem modernen philippinischen Büchermarkt ziemlich große Bedeutung bei – ich glaube, dass Frauen in der Literaturszene den vom Establishment vertretenen Status quo in Frage stellen. Ich freue mich, bemerken zu können, dass viele der jungen Schriftsteller:innen, die sich in der aktuellen Literaturszene einen Namen machen, Frauen sind.

Beverly Wico Siy: Ich schätze die von philippinischen Frauen geschaffene Literatur in der heutigen Verlagslandschaft sehr hoch. Die meisten stellen ihren Haushalt in den Mittelpunkt. Sie schreiben über das Persönliche neben dem Häuslichen, über Familie und Ehe, Beziehungen, Gemeindeleben, Politik, Kunst, Kultur und mehr. Diese persönlichen Themen werden von männlichen Schriftstellern häufig vermieden, vielleicht aus Angst, als schwach oder trivial angesehen zu werden. Doch die philippinischen Autorinnen beziehen daraus ihre Stärke. Sie artikulieren, was sie beobachten, sie geben Frauen und Kindern, den Marginalisierten und Vernachlässigten eine Stimme. Sie bringen eine eindeutige Perspektive auf wesentliche Fragen ein. Sie bestehen darauf, dass ihre Geschichten ins Zentrum gehören, nicht an den Rand. (...) In ihren Werken spiegelt das Persönliche die Welt und wird von ihr gespiegelt.

Katigbak-Lacuesta:"Feministische Dichterinnen der zweiten und dritten Welle haben ihren Stimmen Gehör verschafft"

? Auf wie viel Interesse stoßen die Werke von Schriftstellerinnen in der philippinischen Leserschaft, und wie gut sind Autorinnen und ihre literarischen Schöpfungen von ihren männlichen Kollegen akzeptiert?

Katigbak-Lacuesta: Ich denke nicht, dass der durchschnittliche philippinische Leser etwas für oder gegen das Geschlecht liest – dieses Problem ist innerhalb der Welt des Schreibens stärker spürbar als außerhalb davon. Aber ich würde sagen, dass sich Autorinnen innerhalb der Schriftstellerkreise schon einen rechtmäßigen Platz in der Welt der philippinischen Literatur erkämpft haben. Als Dichterin stehe ich auf den Schultern feministischer Dichterinnen der zweiten und dritten Welle, die ihren Stimmen Gehör verschafften, so dass auch meine gehört werden konnte.

Wico Siy: Die meisten philippinischen Leser:innen, besonders die jungen, sind sehr aufgeschlossen, wenn sie Bücher kaufen. Sie wählen sie normalerweise nicht nach dem Geschlecht eines Schriftstellers aus, sie kaufen, was erhältlich ist. Das bedeutet, dass sie mehr als nur bereit sind, Bücher von philippinischen Autorinnen zu lesen und zu unterstützen. Leider gibt es nicht so viele Bücher von philippinischen Schriftstellerinnen auf dem Markt. Männliche Autoren dominieren immer noch. Und dadurch setzt sich der Kreislauf fort. Damit philippinische Schriftstellerinnen von ihren männlichen Kollegen akzeptiert werden, muss ihre Arbeit viel, viel besser sein als gewöhnlich. Man erwartet von ihnen, über die häusliche Sphäre hinauszugehen und zu beweisen, dass sie über ein großes Spektrum von Angelegenheiten schreiben können.

Wico Siy: "Wegen ihrer kulturellen und sozialen Lasten liegen Schriftstellerinnen bei der Anerkennung hinter Männern zurück"

? Könnten sie besondere Charakteristika der Position beschreiben, die Schriftstellerinnen auf den Philippinen im Kontext von Kultur und Gesellschaft einnehmen, auch im Vergleich zu männlichen Autor:innen?

Katigbak-Lacuesta: Wir sind wegen unserer sozio-ökonomischen Verhältnisse keine besonders große Lesekultur. Diejenigen, welche über die Mittel verfügen, um Bücher zu kaufen, tendieren zu ausländischen Autor:innen, obwohl die Leserschaft der philippinischen Literatur wächst. In akademischen Kreisen kämpfen Autorinnen weiterhin dafür, gehört zu werden, doch der Weg wurde erheblich von unseren Vorgängerinnen geebnet

Wico Siy: Philippinische Schriftstellerinnen werden normalerweise übersehen, wenn literarische Veranstalter:innen Gesprächsrunden, Workshops, Seminare, Redaktionsauftritte u.s.w. planen, egal wie gut sie sind. Organisator:innen halten es für normal oder sogar akzeptabel, rein männliche Besetzungen bei ihren Podiumsdiskussionen, Bücherveranstaltungen und Schreibwettbewerben (mit nur männlichen Jury-Mitgliedern) zu haben. Diese Situation zeigt, dass philippinische Schriftstellerinnen immer noch als zweitrangig behandelt werden, immer noch unterhalb männlicher Autoren unseres Landes platziert werden. (...) Erfahrene Autoren haben mehr Chancen, anerkannt und gewürdigt zu werden. Und zwar allein deshalb, weil viele Schriftstellerinnen an erster Stelle Mütter oder Ehefrauen sein müssen. Sie liegen in Hinsicht auf Anerkennung hinter den Männern zurück, nicht aus Mangel an Talent, sondern wegen der kulturellen und sozialen Lasten, die ihnen aufgebürdet werden.

Katigbak-Lacuesta: "Wir treten in unserem Land parallel zu unserem Kampf um Gleichstellung für Grundrechte ein"

? Inwieweit haben Autorinnen und ihr Schreiben einen wesentlichen Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs über die Rolle der Frau, Emanzipation und Gleichstellung?

Katigbak-Lacuesta: Insoweit Schriftstellerinnen auch Aktivist:innen sind, würde ich gern glauben, dass die nächste Generation von Denker:innen – Frauen und Männer – den Kampf für weibliche Emanzipation und Gleichstellung der Geschlechter auf der Grundlage unserer eigenen Schriften über Emanzipation und Gleichstellung fortsetzen wird. Ich möchte auf die Tatsache zurückkommen, dass wir kein großes Lesepublikum sind und es viele Kämpfe gibt – wir treten in unserem Land parallel zu unserem Kampf um Gleichstellung für Grundrechte ein.

Wico Siy: Sie haben erheblichen Einfluss, weil ihre Werke von Wahlmöglichkeiten, von Entscheidungen, von Frauen erzählen, die Verantwortung für ihre Romanze und ihr Leben übernehmen. Vor ein paar Jahrzehnten gab es sogar einen Anstieg beim Lesen von Liebesroman-Taschenbüchern, die auf Filipino, unserer Nationalsprache, geschrieben sind. Es wurde eine landesweite Freizeitbeschäftigung, besonders unter Frauen und Teenagerinnen, einschließlich mir selbst. Die meisten dieser Taschenbücher wurden von philippinischen Autorinnen geschrieben. Und ja, viele davon waren kitschig, aber sie prägten das Denken gewöhnlicher philippinischer Frauen. In diesen Geschichten waren immer Frauen die Protagonist:innen. Sie sahen sich großen und kleinen Problemen gegenüber und kämpften dafür, erfolgreich zu sein, mit harter Arbeit, Durchhaltevermögen, Gebeten und der Hilfe ihrer Lieben.

Katigbak-Lacuesta: "Schriftstellerinnen müssen sich auch heute immer noch auf weibliche Erfahrungen stützen"

? Erkennen Sie besondere Tendenzen in der zeitgenössischen Frauenliteratur, spezifische Fragen, die Schriftstellerinnen bevorzugt in ihren Werken behandeln?

Katigbak-Lacuesta: Ich kann nur für mich selbst über meine philippinischen Lieblingsschriftstellerinnen reden – ob es sich nun um Nachkriegs-, politische oder zeitgenössische Autor:innen handelt. Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit schrieben über den Aufbau der Nation und die Gräueltaten, die sie während des Krieges durchlebten, sei es geschlechtsspezifische Gewalt oder Entbehrungen. Als ich heranwuchs, waren meine Lieblingsschriftstellerinnen Dichterinnen, die auch Feministinnen waren. Sie schrieben über ihre Kämpfe und waren mit verschiedenen Patriarchaten konfrontiert: die nationale Fassade des Landes war ein Patriarchat, und das Patriarchat war als schreibendes Establishment bekannt. Meine Mentorinnen hatten Mühe, ihren Platz innerhalb des Establishments zu finden. Ich glaube, Schriftstellerinnen müssen sich auch heutzutage immer noch auf weibliche Erfahrungen stützen, aber wir sind, denke ich, post-national. Wir schreiben über Menschenrechte, da sie auf regionaler und internationaler Ebene angefochten werden.

Wico Siy: Philippinische Schriftstellerinnen, die Mütter sind, legen oft den Fokus auf das Familienleben – und schreiben über ihre Ehemänner, ihre Kinder und die rhythmischen Abläufe des Haushalts. Die ältere Generation schreibt insbesondere auch über die Perimenopause, den Körper, das Älterwerden und andere, damit verbundene Themen. Alleinstehende philippinische Autorinnen neigen hingegen dazu, spekulative Fiktion und Gesellschaftskritik zu erforschen. Sie schreiben über Liebe und die Suche danach, ebenso über Abenteuer, Reisen und Sexualität. Über verschiedene Altersgruppen hinweg erschaffen viele philippinische Schriftstellerinnen auch Literatur für Kinder. Ihre Geschichten behandeln relevante Fragen, wie Behinderung, soziale Ungerechtigkeit und die Anliegen der indigenen Völker.

Wico Siy: "Ihre Werke vermitteln so viel darüber, wie es ist, in diesem Land eine Frau zu sein"

? Glauben Sie, dass Sie und Ihr literarisches Schaffen durch Feminismus, feministische Vorbilder oder Ideen beeinflusst sind, gehören diese zu Ihrem Selbstverständnis als Autorin?

Katigbak-Lacuesta: Ich verpflichte mich zu Zielen wie Bewusstsein und Menschenrechten. Natürlich kann ich mein Schreiben nicht von meinen Erfahrungen als Frau trennen – was meine neueste Lyrik-Sammlung betrifft, beschäftigen sich meine Themen mit toxischer Männlichkeit und geschlechtsspezifischer Gewalt, nicht unbedingt als Programm, sondern als Auseinandersetzung mit meinen eigenen Erfahrungen als Frau. Ich weiß, dass ich Künstlerin bin, und ich weiß, dass ich Aktivistin sein muss. Deshalb glaube ich, dass mein Weg jetzt darin besteht, beides in einem bruchlosen Ethos und einer Kunst zu verschmelzen.

Wico Siy: Ich liebe es, Werke philippinischer Schriftstellerinnen zu lesen. Es fühlt sich wie zu Hause an! Ich habe die Werke unserer einzigen weiblichen Nationalkünstler:in für Literatur, Edith Tiempo, gelesen, der Gawad CCP-Preisträgerin Lualhati Bautista (ich bin ein begeisterter Fan), und von Genoveva Edroza Matute. Ich lese Poesie, manchmal sogar täglich Gebete, die mir von Ruth Elynia Mabanglo geschickt werden, sowie Gedichte von Louise Lopez und anderen Lyrikerinnen unserer LIRA-Organisation (Linangan sa Imahen, Retorika at Anyo). Ich lese ihre Werke gern, weil sie mir so viel darüber beibringen, wie es ist, in disem Land eine Frau zu sein. Aufgrund dessen, was ich lese und aus ihnen absorbiere, hinterfrage ich weiterhin die Entscheidungen und Systeme, die Männer bevorzugen. (...) Diese Werke inspirieren mich, weiter für die schöpferischen Rechte von Autor:innen zu kämpfen, besonders von philippinischen Schriftstellerinnen.

Lesen Sie das komplette Interview mit Mookie Katigbak-Lacuesta und Beverly Wico Siy in der Digitalausgabe des zwd-POLITIKMAGAZINs (409).

Informationen über die Autorinnen:

Mookie Katigbak-Lacuesta (geb. 1980), Schriftstellerin, Dichterin, studierte Kreatives Schreiben in New York, unterrichtet an Universitäten von Manila, Werk (Auswahl): Lyrik-Sammlungen (u.a. College Boy, 2021, Hush Harbor, 2017), Roman Assembling Alice (2021), Preise: u.a. mehrfach Carlos Palanca Memorial Award, Nationaler Bücherpreis

Beverly Wico Siy (geb. 1979), Schriftstellerin, Übersetzerin, in Intertextueller Abteilung des Kulturzentrums der Philippinen tätig, Mit-Gründerin der Isang Balangay Media Productions, Werke (Auswahl): It´s a Mens World (2011), It´s Raining Mens (2014), Auszeichnungen: 2015 Bücher-Aktivistin, Botschafterin des Urheberrechts

Quelle: Philippines Guest of Honour Frankfurt Book Fair











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