EU-GEWALTSCHUTZRICHTLINIE zwd-KOMMENTAR : Evelyn Regner (S & D): "Schritt für gewaltfreies Leben für EU-Frauen"

20. März 2024 // ug

EU-Parlament (EP) und Europäischer Rat (EUCO) haben sich auf eine EU-Richtlinie zum Bekämpfen von Frauengewalt geeinigt. Diese setzt Mindeststandards zu Cyber-Stalking, Zwangsheiraten, Prävention. Eine einheitliche Regelung zu Vergewaltigung fehlt jedoch. Die österreichische Vize-Präsidentin des EP Evelyn Regner (S & D), Mitglied im Frauenrechts-Ausschuss der EU (FEMM), kommentiert die Entscheidung für den zwd.

Evelyn Regner (S & D, SPÖ): Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments - Bild: Evelyn Regner
Evelyn Regner (S & D, SPÖ): Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments - Bild: Evelyn Regner

zwd-POLITIKMAGAZIN: Inwieweit erkennen Sie Verbesserungen für den Gewaltschutz in EU-Staaten bzw. Österreich, wo sehen Sie Defizite bei den EU-Bestimmungen?

Evelyn Regner: Dank des neuen Gewaltschutzgesetzes wird es klare Verbesserungen zum Schutz von Frauen vor Gewalt in ganz Europa geben. Das Gesetz enthält beispielsweise ein EU-weites Verbot von Zwangsehe, weiblicher Genitalverstümmelung und erstmals auch Online-Gewalt. Dazu gehört Online-Stalking, Online-Mobbing, die Weitergabe von intimen oder manipulierten Bildern, das Versenden von sogenannten ,Dick Pics', sowie die Aufstachelung zu Hass oder Gewalt. Allein diese Maßnahmen sind ein wichtiger Schritt für ein gewaltfreies Leben für Frauen in Österreich und der gesamten EU.

"Das Ziel ist, „Nur ja heißt ja“ EU-weit strafrechtlich festschreiben zu können"

Wie beurteilen Sie, dass der Paragraph mit einheitlichen strafrechtlichen Regelungen zu Vergewaltigung u.a. auf Veranlassung bundesdeutscher und französischer Politiker:innen nicht mit einbezogen ist?

E.R.: Die strafrechtliche Verankerung von Vergewaltigung war eine zentrale Forderung für dieses Gesetz. Dass diese nicht mit aufgenommen wurde, ist äußert bedauerlich und ein großer Fehler. Leider haben sich in dieser Sache einige Mitgliedsstaaten quergestellt. Positiv ist, dass die Definition bereits im Präventionsteil niedergeschrieben ist. So können wir in fünf Jahren, bei der Revision des Gesetzes, direkt daran anknüpfen. Bis dahin arbeiten wir daran, in der EU eine konsensbasierte Kultur zu schaffen, damit jeder Mann und jede Frau weiß, dass nur Akte, die von beiden gewollt sind auch erwünscht sind. Das Ziel ist, „Nur ja heißt ja“ dann auch endlich EU-weit strafrechtlich festschreiben zu können.

"Der eigentliche Grund ist das Fehlen des politischen Willens"

Wie bewerten Sie die Rolle der Bundesrepublik bzw. des deutschen Bundesjustizministeriums bei der Entscheidung?

E.R.: Der deutsche Justizminister argumentiert, dass die EU im Strafbereich keine Kompetenz hat, sondern nur die Mitgliedsstaaten und dass die EU nur bei bestimmten grenzüberschreitenden Verbrechen („Euro-Crimes“) Kompetenz besitzt. Mit derselben Rechtsgrundlage hat die EU bereits erfolgreich Kindesmissbrauch kriminalisiert, wo ebenfalls in den meisten Fällen kein grenzüberschreitendes Element vorliegt. Somit muss bei Vergewaltigung die Rechtsgrundlage ebenso anwendbar sein. Der Vorwand, dass die Rechtsgrundlage nicht passt, hinkt und wurde von zahlreichen EU-Rechts-Expert:innen widerlegt. Der eigentliche Grund ist das Fehlen des politischen Willens. Und zwar von Männern in Machtpositionen.

Würden Sie bitte auch auf die Haltung Österreichs zu den genannten Regelungen im Rahmen der EU-Gewaltschutzrichtlinie näher eingehen?

E.R.: Nach mehrfachen Austauschs mit der zuständigen Bundesministerin Zadić und anfänglicher Zurückhaltung konnten wir sie überzeugen, dass wir die Gewaltschutzrichtlinie mit einer konsensdefinierte Definition von Vergewaltigung brauchen. Es ist politische Entscheidung für diesen Zweck aufzustehen und ich hoffe, dass auch Frankreich und Deutschland hier noch umschwenken.

"Ich setze mich dafür ein, geschlechterbezogene Gewalt in die Liste der ´Euro-Crimes´ mit aufzunehmen"

Für welche weiterreichenden Forderungen beim Schutz vor Gewalt gegen Frauen/ häuslicher Gewalt setzen Sie sich als Mitglied im FEMM-Ausschuss und S & D-Parlamentarierin in der EU ein?

E.R.: In diesem Zusammenhang setze ich mich dafür ein, geschlechterbezogene Gewalt in die Liste der EU-Straftatbestände oder „Euro-Crimes“ mitaufzunehmen. Das sind Straftaten, die als besonders schwerwiegend gelten und einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Wenn geschlechterbezogene Gewalt aufgenommen würde, wäre die EU-Gesetzgeber befugt, Mindestvorschriften für die Definition dieser Straftat und entsprechende Strafen zu erlassen.

Gleichzeitig setze ich mich dafür ein, dass alle EU-Staaten, welche die Istanbul Konvention noch nicht ratifiziert haben, dies dringend tun. Während wir erreicht haben, dass die EU die Konvention als Ganzes in den Bereichen, die die EU-Kompetenz betreffen, ratifiziert hat, müssen die Länder mit einer noch ausstehenden Ratifizierung dringend nachziehen.

Wie würden sich Ihrer Ansicht nach in der EU solche Regelungen verwirklichen lassen?

E.R.: Um geschlechterbezogene Gewalt in die Liste der EU-Straftatbestände aufzunehmen, müsste die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorlegen. Darauf arbeiten wir derzeit hin. Und wir brauchen vor allem Staats- und Regierungschefs, die dann mitziehen. Leider wird gerade auf EU-Ebene viel blockiert. Aber wir haben auch Positives zu feiern: die Freiheit eine Abtreibung durchzuführen, wird in Frankreich zukünftig von der Verfassung garantiert. Wir sehen also: Wo ein Wille ist, da ist ein Weg!

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