zwd Berlin. Angesichts der Ergebnisse des aktuellen Schulbarometers der Robert Bosch Stiftung, wonach mehr als die Hälfte der Lehrer:innen (54 Prozent) die Demokratiebildung an Schulen als unzureichend einschätzen, fordert GEW-Vorstandsmitglied Schule Anja Bensinger-Stolze, mehr Unterrichtszeit für Demokratie einzuplanen. Demokratielernen müsse in der Schulpolitik zu einem Top-Thema werden, betonte Bensinger-Stolze anlässlich der Veröffentlichung der Studie am 25. Juni. Das sei nicht nur wichtig, um Rechtsradikalismus, auf spezielle Gruppen bezogener Menschenfeindlichkeit oder Fake News entgegenzuwirken, doch ebenso um Frustrationen und Konflikten im schulischen Alltag von Kindern vorzubeugen.
GEW: Schulen brauchen mehr Ressourcen für Demokratiebildung
Demokratie müsse „auch gelebt werden“. Bensinger-Stolze plädierte für mehr praktische Demokratiebildung, von Unterrichts-Feedback bis zu partizipativer Mitbestimmung in Schulkonferenzen, und für ein Berücksichtigen von Rahmenbedingungen. Demokratielernen brauche „eine stärkere Verankerung in den Lehrplänen, mehr schulische Ressourcen und Räume sowie personelle Unterstützung für eine demokratische Schulentwicklung“. Der Deutsche Lehrerverband (DL) bestätigt das in der Studie abgebildete Bedürfnis von Lehrkräften nach mehr schulischer Demokratiebildung und Unterrichtszeit dafür. Das decke sich mit den Beobachtungen, dass „das Interesse (…) an Fortbildungen, wie Demokratiebildung im Unterricht umgesetzt werden kann, sehr hoch ist“, erklärte DL-Präsident Stefan Düll. Medienbildung und auch KI-Umgang sollten dabei aus seiner Sicht ein wichtiges Element darstellen.
Ostdeutsche Lehrer:innen befürchten beim Demokratielernen Konflikte
Die Bildungsbereichs-Leiterin der Robert Bosch Stiftung Dr. Dagmar Wolf sagte, Demokratielernen finde „nicht nur im Politikunterricht“ statt. Schulen müssten sich zu „demokratischen, partizipativen und inklusiven Orten“ entwickeln, wofür ein echter struktureller, personeller und kultureller Wandel erforderlich sei. Einen entscheidenden Schritt dahin sieht sie im konsequenten Umsetzen des geplanten Investitionsprogramms für Bildung und des Digitalpaktes 2.0. Als Haupthindernisse für ausreichende Demokratiebildung bezeichneten mehr als drei Viertel der Lehrkräfte (77 Prozent) fehlende Unterrichtszeit und über zwei Fünftel (45 Prozent) mangelndes Fachwissen über die Umsetzung.
Während 35 Prozent der westdeutschen Lehrer:innen (Ost: 20 Prozent) das Fehlen von Materialien zum Thema beanstandeten, beklagten 38 Prozent der ostdeutschen Lehrkräfte zu wenig Interesse innerhalb des Kollegiums (West: 26 Prozent), 29 Prozent befürchteten Konflikte unter Schüler:innen (West: 17 Prozent) und über ein Viertel (27 Prozent) Widerstände vonseiten der Eltern (West: 9 Prozent). Das forsa-Institut für Sozialforschung führte im Auftrag der Robert Bosch Stiftung vom 11. November bis 02. Dezember 2024 eine Online-Befragung von 1.540 Lehrkräften an allgemeinbildenden und Berufsschulen durch. Das Schulbarometer erscheint seit 2019 jährlich und ist für alle bundesdeutschen Schularten repräsentativ.
DPhV fordert psychologische Fachkräfte und Anlaufstellen bei Gewalt
Was die von Lehrer:innen berichteten, verglichen mit dem Vorjahr erhöhten Herausforderungen durch schwieriges Verhalten von Schüler:innen (42 Prozent, 2024: 35 Prozent) und Arbeitsbelastung (34 Prozent, 2024: 28 Prozent) betrifft, setzte sich GEW-Schulfachfrau Bensinger-Stolze wie der DPhV für „gesunde Schulen“ ein. Wohlbefinden von Lehrkräften und Schüler:innen sollte wie die Arbeitsbelastung zum Kriterium für Schulqualität werden. Bensinger-Stolze nannte die „gesundheitlichen Risiken (…) alarmierend“ und schlug vor, „flächendeckend Gefährdungsbeurteilungen“ durchzuführen. Überdies solle man die Unterrichtsverpflichtung absenken und die personelle Ausstattung erheblich verbessern. Die Bundesvorsitzende des DPhV Prof.in Susanne Lin-Klitzing erkennt in regelmäßiger Erschöpfung bei einem Drittel der Lehrkräfte (34 Prozent) „kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem“.
Lin-Klitzing trat für „ein verlässliches Unterstützungssystem“ ein, wozu ihrer Ansicht nach „psychologisch geschulte Fachkräfte, qualitativ hochwertige Aus- und Fortbildung (…) sowie zentrale, unabhängige Anlaufstellen (…) für Fälle von Gewalt“ gehören. Laut Schulbarometer fühlt sich fast ein Viertel der Lehrer/innen (24 Prozent) mehrmals wöchentlich erschöpft, ein Zehntel (10 Prozent) sogar täglich. Jeweils hohe Anteile der befragten Lehrkräfte gaben an, die Unterstützungsangebote für psychisch belastete Kinder und Jugendliche durch Beratungslehrer:innen (54 Prozent) bzw. durch Schulpsycholog:innen (71 Prozent) seien nicht oder eher nicht genügend. Fast ein Viertel (23 Prozent) des auffälligen Betragens von Schüler:innen wird von Lehrkräften als allgemein schwieriges Sozialverhalten beschrieben. Wie beim Schulbarometer 2024 beobachtete knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent) physische und psychische Gewalt unter den Kindern und Jugendlichen.
Die Grünen: Digitalpakt 2.0 mit Schul-Investitionen rasch umsetzen
Die Grünen-Bundestagsfraktion wertet die Resultate der Studie als Anzeichen dafür, dass man „dringend mehr in digitale Bildung investieren“ müsse. Die grüne Bildungspolitikerin Dr. Anja Reinalter hob hervor, Lehrer/innen sollten „sicher im Einsatz von KI-Anwendungen“ sein, um Schüler:innen „gut auf den Umgang mit KI vorbereiten“ zu können. Reinalter drängte darauf, den Digitalpakt 2.0 so rasch wie möglich zu starten, dessen Umsetzung Investitionen einerseits „in digitale Infrastruktur“, andererseits auch „in Maßnahmen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung“ und „in anwendungsbezogene Forschung“ inklusive deren Übertragung in die Lehrkräfteausbildung beinhalte. Der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR) sprach sich für den Gebrauch von KI-Sprachmodellen wie ChatGPT in Schulen aus, vorausgesetzt, „didaktische Konzepte, klare Leitplanken und passende Fortbildungskonzepte“ würden entwickelt und erweitert.
Lehrkräfte erwarten vom KI-Einsatz Nachteile für kritisches Denken
Die Skepsis von Lehrkräften beim Einsatz von KI im Unterricht hält GEW-Vorstandsmitglied Bensinger-Stolze für berechtigt. Die Erwartung einer Mehrheit von Lehrer:innen, der KI-Gebrauch würde negative Folgen hinsichtlich sozial-kommunikativer Fähigkeiten (62 bzw. 72 Prozent bei Nutzer:innen/ Nicht-Nutzer:innen) und kritischen Denkens (60 Prozent/ 69 Prozent) zeigen, habe sich bereits durch Studien bestätigt. Zudem seien viele KI-Anwendungen pädagogisch wie datenschutzrechtlich bedenklich. Der DPhV warnte davor, unreflektiert technologische Neuerungen ohne pädagogisches Rahmenkonzept zu übernehmen. Eine KI-Strategie für die Bildung müsse „die pädagogische Autonomie und die schulische Datensouveränität“ sichern, unterstrich die Bundesvorsitzende Lin-Klitzing. Wie Bensinger-Stolze von der GEW wies sie darauf hin, Schüler:innen sollten „KI nicht konsumieren, sondern kritisch reflektieren“. Dafür brauche man Weiterbildungen für Lehrkräfte, eine mit Datenschutz konforme Bildungs-KI auf Grundlage des europäischen Rechts sowie leistungsfähige Identitätsmanagementsysteme an allen Schulen.
Fast zwei Drittel der Lehrer:innen (62 Prozent) fühlen sich nach Angaben der Studie im KI-Umgang eher bis sehr unsicher, über die Hälfte (55 Prozent) nutzen KI-Tools seltener als einmal pro Monat. Rund ein Drittel (31 Prozent) verwenden sie monatlich bis täglich, überwiegend für Erstellen von Aufgaben und Unterrichtsplanung. Günstige Effekte erwarten Lehrkräfte für die individualisierte Lernunterstützung (47 Prozent/ 65 Prozent), nachteilige Auswirkungen auch für Problemlöse-Fähigkeiten (51 Prozent/ 64 Prozent), Sprach- und Schreibkompetenzen (55 Prozent/ 61 Prozent).
Schüler:innen sind stärker psychisch belastet als vor Corona-Pandemie
Bei einer am 29. November 2024 veröffentlichten Schüler:innen-Befragung der Robert Bosch Stiftung beschrieben sich etwa ein Fünftel (21 Prozent) der befragten 8- bis 17-Jährigen als psychisch belastet bzw. lagen im grenzwertigen Bereich. Ein Fünftel (20 Prozent) berichteten über geringes schulisches Wohlbefinden, über ein Viertel (27 Prozent) empfanden ihre Lebensqualität als niedrig. Gegenüber der Corona-Zeit hätten sich psychische Belastungen und geringe Lebensqualität (bis 31 Prozent bzw. bis 48 Prozent), Daten der sog. COPSY-Studie zufolge, reduziert, jedoch noch nicht wieder die vor-pandemischen Werte (18 Prozent bzw. 15 Prozent) erreicht.
39 Prozent der Schüler:innen machten sich oft bzw. sehr oft Sorgen über Kriege in der Welt, 26 Prozent über schlechte Schulleistungen, 25 Prozent über Klima- und Umweltzerstörung durch Menschen. Die Verfasser:innen vermuteten, dass während der Corona-Pandemie vor allem bei sozial benachteiligten Schüler:innen entstandene Lernrückstände.in der Folge teilweise zu verringerter Leistungsfähigkeit und daher erhöhtem Leistungsstress geführt haben könnten, die weiter fortwirkten. Neben schulbezogenen Sorgen würden globale gesellschaftliche Krisen zunehmend für die Kinder und Jugendlichen zu Belastungsfaktoren werden.