zwd Berlin. Das Bundesland Hessen beabsichtigt, eine Initiative zum wirksameren Schutz vor Gewalt im häuslichen Umfeld und zur Einführung elektronischer Fußfesseln in den Bundesrat einzubringen. Deren Anwendung fordern u.a. Sozialdemokrat:innen, Grüne und besonders die SPD-Frauen (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) schon seit längerem. In einer Stellungnahme vom 18. Juli kritisierte der hessische Justizminister Christian Heinz (CDU) die jüngsten Äußerungen von Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP), wonach dieser einer bundesgesetzlichen Regelung für den Einsatz der elektronischen Täter:innen-Überwachung nicht zustimmt. Heinz hob die Erfolge des in Spanien erprobten Modells hervor und erklärte, dass für eine dauerhafte Kontrolle gerichtlich angeordneter Kontakt- und Annäherungsverbote „die Fußfessel ins Gewaltschutzgesetz aufgenommen werden“ müsse.
Die Polizeigesetze der Länder, die der Bundesjustizminister vornehmlich in der Pflicht sieht, würden Betroffene nur zeitweilig schützen, „eben bis gerichtliche Maßnahmen greifen“, so Heinz. Buschmann erkennt zwar an, dass der Schutz insbesondere vor Partnerschaftsgewalt zu verstärken sei. Wenn die Bundesländer die elektronischen Fesseln für das richtige Mittel hielten, um häusliche Gewalt zu bekämpfen, wäre „eine Regelung darüber im Polizeirecht“ möglich, bekräftigte er gegenüber der dpa. Damit stellt er sich gegen eine Empfehlung der Innenministerkonferenz (IMK) vom Juni, „sich innerhalb der Bundesregierung für eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung zum Einsatz von elektronischer Aufenthaltsüberwachung“ einzusetzen, da diese geeignet sei, „um Opfer besser zu schützen und Taten häuslicher Gewalt zu verhindern“.
SPD: Frauengewalt ist „strukturelles Problem“ der Gesellschaft
Die stellvertretende rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Carmen Wegge betonte angesichts aktuell hoher Zahlen weiblicher Opfer von geschlechtsspezifischer und Partnerschaftsgewalt im Parlament am 04. Juli, Gewalt an Frauen sei „ein systemisches und strukturelles Problem in unserer Gesellschaft“ und wesentlich patriarchal geprägt. Gewalt richte sich „vor allem gegen die Selbstbestimmung der betroffenen Personen“, Leidtragende seien nicht nur, wie es der in erster Lesung debattierte Gesetzentwurf der Unionsfraktion (Drs. 20/ 12085) nahelege, „körperlich unterlegene Menschen“, sondern „selbstbestimmte Frauen, queere Menschen und auch Betroffene mit Mehrfachdiskriminierungen“. Darüber hinaus sollte aus Wegges Sicht ein verbesserter Opferschutz – von der Union vorrangig „für Frauen und verletzliche Personen“ gedacht - die „Problematik der psychischen Gewalt“ nicht ausklammern.
Hintergrund der Diskussion bildete das am 07. Juni veröffentlichte Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) zur häuslichen Gewalt 2023 mit den im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um 6,5 Prozent auf 256.276 gestiegenen Opferzahlen. Demnach waren 70,5 Prozent der Leidtragenden Frauen, 65,5 Prozent der Geschädigten von Gewalt durch ihre – derzeitigen oder ehemaligen - Partner:innen betroffen, über ein Drittel (34,5 Prozent) von innerfamiliärer Gewalt. Umgekehrt waren drei Viertel der Tatverdächtigen (75,6 Prozent) Männer, ein Viertel (24,4 Prozent) weiblich. Gewaltdelikte in Partnerschaften nahmen gegenüber 2022 um 6,4 Prozent zu, mit Frauen als der überwiegenden Mehrheit (79,2 Prozent) der Opfer, bloß etwa ein Fünftel (20,8 Prozent) war männlich. 155 Frauen sowie 24 Männer kamen 2023 durch Partnerschaftsgewalt ums Leben. Das Lagebild des BKA 2023, das – wie bereits 2022 - die statistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt in erweiterter Form fortführt, wertet v.a. Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) vom April (s. zwd-Portal) aus.
Grüne: Elektronische Überwachung über Europa-Recht regeln
Grundsätzlich sei man sich nach Auffassung von Vize-Sprecherin Wegge mit der Unionsfraktion in der Zielsetzung durchaus einig. Zu einem „ganzheitlichen Opferschutz“ gehöre vor allem „eine konsequente und angemessene Bestrafung von Täter:innen", unterstrich sie. Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind, sei „keine Beziehungstat“ oder ein „Familiendrama“, sondern ein Femizid. Außer in dem generellen Vorschlag, neue Merkmale zu definieren, die eine tödliche Gewalthandlung als Mordtat qualifizieren – wie der Gesetzentwurf der Union diese im Einzelnen ausformt, könne die SPD jedoch nicht billigen – gebe es nach Aussagen von Wegge eine übereinstimmende Meinung darüber, dass von Gewalt betroffene Frauen „präventiv vor weiteren Übergriffen (zu) schützen“ seien.
Die SPD-Politikerin unterstützt ähnlich wie die grüne Obfrau im Rechtsausschuss Canan Bayram die elektronischen Fußfesseln, deren Einführung die Unionsfraktion als Ergänzung zum Gewaltschutzgesetz (GewSchG) vorschlägt, als eine von vielen Maßnahmen gegen Partnerschaftsgewalt, wobei es „auf die konkrete Ausgestaltung“ ankomme. Der Vorteil für gefährdete Gewaltopfer in Spanien liege darin, dass eine App diese rechtzeitig bei unerlaubtem Annähern der Täterperson alarmiere. Grünen-Politikerin Bayram wies auf die gerade im Europäischen Parlament (EP) stattfindende Debatte hin, ob man die elektronische Überwachung gemeinsam über das Europarecht regeln und „es dann auch hier in Deutschland umsetzen“ sollte, was den Unionsentwurf überflüssig machen würde.
FDP: Höhere Strafmaße schrecken häusliche Täter:innen nicht ab
Die rechtspolitische Sprecherin der Liberalen Katrin Helling-Plahr hingegen verortet die Vorschriften zum Gebrauch der elektronischen Fesseln wie Justizminister Buschmann in den „Polizeigesetze(n) der Länder“. Die Sozialdemokratin Wegge kündete „relativ viele Gesetzesvorhaben“ zum Thema Gewaltschutz an, die man in den folgenden Monaten im Bundestag debattieren werde. Um Betroffene wirksam zu schützen, sei „Sensibilisierung von Entscheidungsträger:innen" in Justiz und Strafverfolgung wichtig, die Istanbul-Konvention (IK) „ausnahms- und vorbehaltlos()“ umzusetzen, ebenso, Fälle häuslicher Gewalt beim elterlichen Umgangsrecht zu berücksichtigen, und „Schutz vor digitalen Übergriffen im Netz“,wie von der Koalition im geplanten digitalen Gewaltschutzgesetz angestrebt.
Wie für Grüne, Linke und Frauenhausverbände liegt für Wegge ein Schwerpunkt darin, gewaltbetroffenen Frauen sichere Zuflucht zu bieten. Deshalb werde die Koalition einen „bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern“ gewährleisten und das „Hilfesystem auch zeitnah bedarfsgerecht ausbauen“. Die Grüne Bayran beanstandete den Mangel an Frauenhausplätzen und plädierte für Schulungen für Polizei und Justiz. Die liberale Abgeordnete Helling-Plahr mahnte zu der Einsicht, dass Androhen und Verschärfen von Strafen zwar richtig seien, häusliche Gewalttaten aber nicht verhindern würden. Stattdessen trat sie für Prävention ein, wie das von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung des BKA-Lagebildes genannte Einrichten von rund um die Uhr geöffneten Schaltern der Bundespolizei, um Anzeigen von gewaltbedrohten Frauen anzunehmen, obligatorische Anti-Gewalt-Trainings für Täter:innen und - besser durchzusetzende - Kontaktverbote gemäß GewSchG.
Linke kritisiert unvollständige Umsetzung der IK
Die frauenpolitische Sprecherin der Linken-Gruppe Gökay Akbulut bemängelte, dass die Koalition die im Regierungsvertrag vereinbarten Vorhaben bislang nicht realisiert habe. Als skandalös bezeichnete sie, dass die Bundesrepublik die IK trotz der Ratifizierung nicht komplett umsetze, obwohl sie seit 2018 dazu verpflichtet wäre. Die für diesen Zweck bestimmte „ressortübergreifende Koordinierungsstelle“ sei immer noch nicht errichtet, warf sie der Regierung vor. Akbulut missbilligte, dass der Bund sich trotz des Anstiegs bei den Fallzahlen zur häuslichen Gewalt nicht genug verantwortlich fühle und überwiegend tatenlos bleibe.
Auch der Referentenentwurf zum Finanzieren des Hilfesystems liege noch nicht vor, das wäre aber dringlich, da insgesamt ungefähr 13.000 Schutzunterkünfte fehlten, wie aus der Regierungsantwort (Drs. 20/ 11157) auf eine Anfrage der Linken Drs. 20/ 10821) hervorgehe. Oftmals seien Akbulut zufolge überdies die Übernachtungen für Gewaltopfer zu teuer. Der Bund müsse nun „Schutz- und Beratungsstrukturen dauerhaft finanzieren und ausbauen“, damit „Frauen nicht im Stich gelassen“ würden, verlangte die linke Frauenpolitikerin. Einer Überwachung von Täter:innen durch Fußfesseln steht sie andererseits skeptisch gegenüber, In Flächenländern sei es für die Polizei nicht machbar, diese gleichzeitig auszuwerten und ohne Verzögerung eingriffsbereit vor Ort zu sein.
GFMK und Frauenvereine: Bund soll Gesetz ausreichend finanzieren
Wie der Bund der Kriminalbeamt/innen erachtet die Linken-Sprecherin es daher für sinnvoller, Beratungsstellen für Opfer und Vorsorgemaßnahmen besser zu finanzieren. Zur 34. Gleichstellungs- und Frauenminister:innenkonferenz (GFMK) am 13./ 14. Juni appellierten die Autonomen Frauenhäuser in einer von 35 Frauenvereinen einschließlich dem bff - Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe unterzeichneten Kampagne an die Koalitionsregierung, das geplante Gewalthilfegesetz umzusetzen und ausreichend mit Bundesmitteln auszustatten. Die Teilnehmer:innen der GFMK riefen einstimmig das BMFSFJ dazu auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der „dem Gedanken der Lastenteilung“ gerecht werde, und den vorhandenen Diskussionsentwurf in der Art weiterzuentwickeln, um anzugeben, wie und in welcher Höhe sich der Bund an den Kosten beteiligen werde.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Die Grünen) zeigte sich anlässlich des neuerlichen Zuwachses bei den Fällen häuslicher Gewalt erschüttert. Sie stellte das noch in Arbeit befindliche Gewalthilfegesetz in Aussicht, das „die Grundlage für ein verlässliches und bedarfsgerechtes Hilfesystem bei häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt“ schaffen werde. Die Vize-Präsidentin des BKA Martina Link gab zu bedenken, dass die Statistik lediglich einen Teil der wirklichen Gewalttaten sichtbar mache, da viele nichtzur Anzeige kämen. Die - für 2025 zu erwartende – laufende Dunkelfeldstudie „Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag“ (LeSuBiA, vgl. zwd-POLITIKMAGAZIN Nr. 398), deren Ergebnisse bis 2025 zu erwarten sind, sollen über umfangreiche Befragungen von Opfern über den tatsächlichen Umfang der häuslichen Gewalt aufklären und helfen, Straftaten künftig einfacher zu erkennen und zielgerichtet Vorsorgeangebote zu machen.