ANTRAG GRÜNEN-FRAKTION : Grüne fordern ganzheitlichen Ansatz gegen Gewalt an Frauen

17. November 2025 // Ulrike Günther

Fälle geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, inklusive digitaler Gewalt, nehmen seit Jahren zu, sogar mehr als vorher, bei hoher Dunkelziffer. Aus Sicht der Grünen-Bundestagsfraktion stellt insbesondere auf Frauen bezogene Gewalt ein „strukturelles Problem“ der Gesellschaft dar und eine „gravierende Menschenrechtsverletzung“. Für einen wirksamen Gewaltschutz fordern die Grünen daher eine ganzheitliche Herangehensweise, die gleichermaßen Vorsorge, Schutz, Strafverfolgung und Maßnahmen-Koordinierung stärkt.

Wirksamer Gewaltschutz erfordert nach Grünen-Ansicht umfassende Regelungen. - Bild: Pixabay
Wirksamer Gewaltschutz erfordert nach Grünen-Ansicht umfassende Regelungen. - Bild: Pixabay

zwd Berlin. An Frauen oder Mädchen verübte Gewalt wertet die Grünen-Bundestagsfraktion als ein sichtbares Zeichen „ungleicher Machtverhältnisse und patriarchaler Strukturen“, wie sie in ihrem am 14. November im Bundestag veröffentlichten Antrag "Gewaltschutz ganzheitlich denken" (Drs. 21/ 2803) betont. Geschlechtsspezifische Gewalt sei vielschichtig, zeige sich in körperlichen, psychischen, sexualisierten, wirtschaftlichen und digitalen Formen und komme in allen gesellschaftlichen Schichten vor, wobei Täter meist aus dem näheren Umfeld von Betroffenen stammten. Die Fallzahlen seien laut dem Lagebild des Bundeskriminalamtes zu geschlechtsbezogenen Straftaten gegen Frauen 2023 – mit einer Zuwachsrate bei sexualisierter Gewalt um 6,1 Prozent und bei digitalisierter Gewalt um 25 Prozent im Vorjahresvergleich - stärker gestiegen als zuvor, führen die Grünen in der Begründung aus.

Vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen, bilde nicht eine freiwillig gesetzte Aufgabe, sondern vielmehr eine „staatliche Pflicht“, argumentieren die Politiker:innen. Über den Beitritt zur EU-Gewaltschutzrichtlinie 2024 (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete) habe sich die Bundesrepublik bereiterklärt, diese bis 2027 komplett in nationales Recht zu übertragen. Durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention (IK) des Europarates gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt 2018 und deren vorbehaltlose Anerkennung 2023 sei sie völkerrechtlich gebunden, Maßnahmen zu Vorsorge, Schutz, Strafverfolgung sowie Koordinierung als Grundlage effektiver Gewaltbekämpfung zu treffen.

Regierung soll Gewaltschutzstrategie weiterentwickeln

Im Sinne des von ihnen vorgeschlagenen ganzheitlichen Ansatzes fordern die Grünen die Koalitionsregierung daher auf, die IK vollständig umzusetzen und dabei auch auf den international erhöhten Handlungsbedarf durch verstärkte Distanzierung einiger EU-Länder gegenüber dem Übereinkommen (z.B. Abkehr durch das lettische Parlament im Oktober, geäußerte Vorbehalte von Polen, zurückgewiesene Ratifizierung durch Tschechien, Slowakei) einzuwirken.

Sie appellieren an Union und SPD, die im vorigen Dezember von der rot-grün-gelben Vorgänger-Regierung beschlossene, an der IK orientierte Gewaltschutzstrategie 2025 – 2030 weiterzuentwickeln, wofür alle relevanten staatlichen Stellen inklusive Justiz, Behörden der Strafverfolgung und Nichtregierungs-Organisationen zur Unterstützung von Opfern und Zeug/innen einzubeziehen seien. Darüber hinaus solle die Koalition die bundesweite Koordinierungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt bedarfsgerecht mit Finanzen und Personal ausstatten.

Die Grünen drängen auf Umsetzung des Gewalthilfegesetzes

Die Antragsteller:innen drängen die Regierung, die Bestimmungen aus dem in weiten Teilen im Februar in Kraft getretenen Gewalthilfegesetz (GewHG) rasch zu verwirklichen und diesen Prozess, abgestimmt mit Ländern und Kommunen, unter Einschaltung zivilgesellschaftlicher Vereine und Fachverbände, zu begleiten. Sie plädieren dafür, bei Anordnungen zum Gewaltschutz nach bundesweit einheitlichen Standards verpflichtend auf Gleichstellung fokussierte Täterarbeit zu verankern und verbindlich Fachpersonal in Polizei, Justiz, Bildung, Gesundheit und Sozialarbeit mit Schwerpunkt auf Dynamiken geschlechtsbezogener Gewalt sowie intersektionale Dimensionen zu schulen.

Die Grünen ersuchen die Regierung, über die Innenministerkonferenz (IMK) für bundeseinheitliche Maßstäbe hinsichtlich Gefährdungsanalysen von Betroffenen und für ein wirksames, übereinstimmendes Gefahrenmanagement durch die Kooperation von Polizei, Justiz und Beratungsstellen einzutreten. Sie empfehlen, Rechte von Betroffenen zu stärken, z.B. bei digitaler Gewalt elektronische Anträge auf Strafverfolgung sowie Verbandsklagen zu ermöglichen und den personenbezogenen Datenschutz bei Strafverfahren im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern, damit sensible Informationen nicht an Täter gelangen.

Grünen-Fraktion: Gesetzeslücken in Familien- und Asylrecht beseitigen

Die Grünen-Abgeordneten rufen die Koalition auf, Gesetzeslücken im Familienrecht zu beheben und besonders das Umgangs- und Sorgerecht über Berücksichtigen von Täterarbeit in Fällen von häuslicher Gewalt zu reformieren. Ebenso erachten sie es für erforderlich, dass die Regierung alle aufenthaltsrechtlichen Schutzlücken beseitigt, um den Migrant:innen und Asylsuchende betreffenden Artikel 59 der IK zu realisieren, d.h. für Ehegatten eine eigene Aufenthaltserlaubnis, für Betroffene von häuslicher Gewalt einen Aufenthaltstitel und im Kontext von Zwangsheiraten die Möglichkeit eines erneuten Bleiberechts einzuführen.

Entsprechend solle sie geschlechtsspezifische Lücken im Asylrecht füllen, Artikel 60 zur Anerkennung von Gewalt gegen Frauen als Verfolgungsgrund konsequent umsetzen und – zugunsten der vorgesehenen gendersensiblen Aufnahmeverfahren und Unterstützung - speziell geschulte Sonderbeauftragte schaffen und für Flüchtlingsfrauen wie Angehörige vulnerabler Gruppen medizinische Versorgung, sichere Unterkünfte und Sozialleistungen bereitstellen. Außerdem verlangen die Grünen, die Strafvorschriften zu digitaler Gewalt an der EU-Gewaltschutzrichtlinie ausgerichtet zu reformieren und ein Gesetz zum Schutz vor Digitalgewalt aufzulegen, das ausdrücklich geschlechtsbezogene Formen, wie Cyberstalking, unautorisiertes Verbreiten von Bildern oder Deepfakes, einbegreift und angemessen sanktioniert.

Koalition prüft Bedarfe zur Anpassung an EU-Gewaltschutzrichtlinie

In einer am 11. November im Parlament verfügbar gemachten Antwort der Bundesregierung (Drs. 2576) auf eine Anfrage der Linksfraktion (Drs. 21/ 2345) über Maßnahmen zum Bekämpfen geschlechtsbezogener Gewalt teilt diese u.a. mit, dass zur Umsetzung des Kabinettsbeschlusses vom Dezember 2024 im Februar das Referat Koordinierungsstelle nach der Istanbul-Konvention in der Abteilung des Bundesfamilienministeriums (BMBFSFJ) Frauen und Gleichstellung eingerichtet wurde. Die Regierung erklärt auf die Frage nach Erweiterung des GewHG auf alle Betroffenen einschließlich LGBTQI+-Personen, sie prüfe derzeit, welche gesetzlichen oder anderen Bedarfe sich auf Ebene von Bund und Ländern als Folge der EU-Gewaltschutzrichtlinie ergeben.

Die Linken: Elektronische Fußfesseln brauchen umfassendes Konzept

Im Zusammenhang mit dem im August vom Bundesjustizministerium (BMJV) vorgelegten Referentenentwurf für das Festschreiben von elektronischer Aufenthaltsüberwachung (eAÜ) (und Täterarbeit) in das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) hebt die Koalitionsregierung auf eine Linken-Frage hin hervor, sie leite deren Wirksamkeit bei Gewaltschutzanordnungen aus bisher positiven Erfahrungen bei der Anwendung zur Führungsaufsicht von Tätern und zum Überwachen von Gefährdern sowie dem Einsatz in Spanien seit 2009 ab, wo nach der Einführung der elektronischen Fußfesseln keine mit Zweitgerät ausgerüsteten Opfer durch Gewalttaten umkamen.

Sie setze voraus, dass sich auch in der Bundesrepublik durch eAÜ das Risiko von Verstößen gegen Gewaltschutzanordnungen signifikant verringern werde. Kritiker/innen wie die Linksfraktion geben u.a. zu bedenken, dass eAÜ im Spanischen Modell in ein ganzheitliches Konzept (z.B. auf geschlechtsbezogene Gewalt spezialisierte Gerichte, standardisierte Tools zur Gefahren-Prognose, Femizid-Statistiken) eingefasst und durch interdisziplinäres Fallmanagement sowie standardisierte Risikoanalysen begleitet sei. In der Bundesrepublik verfügten hingegen erst wenige Länder über bereichsübergreifendes Management von Gewaltfällen, somit sei bislang eine vereinheitlichte Untersuchung zur Gefährdungseinschätzung noch nicht vorhanden.

Artikel als E-Mail versenden