HRK: Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie auch im Engagement gegen Antisemitismus wahren
Zwar hatte die Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am Dienstag (19.11.) in ihrer Sitzung in Tübingen das Engagement der Hochschulen gegen jede Form des Antisemitismus bekräftigt. Die Versammlung hatte zudem auch begrüßt, dass sich der Deutsche Bundestag für den Schutz jüdischen Lebens eingesetzt und die hierzu vielfältigen Anstrengungen der Hochschulen und der HRK würdigt habe. In einer Entschließung kritisiert die Dachorganisation der deutschen Hochschulen jedoch, dass eine derzeit angedachte, hochschulspezifische Resolution in ihrer Umsetzung zu einer Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit und der Hochschulautonomie führen könnte.
Nach den Worten des HRK-Präsidenten Prof. Dr. Walter Rosenthal sind zwar „Resolutionen des Bundestags sind rechtlich nicht bindend“. Er verstehe aber, „dass in der Wissenschaft Sorge vor unzulässigen Folgewirkungen besteht“. Die Bundestags-Resolution enthalte „Forderungen, die auch bei besten Absichten als Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung etwa in der Forschungsförderung verstanden werden könnten.“ In der Beratung der HRK-Mitgliederversammlung ist, wie es in einer HRK-Pressemitteilung vom Mittwoch (20.11.) heißt, deutlich geworden, dass Hochschulen darauf achten müssten, „dass ihre Autonomie und die Wissenschaftsfreiheit sowie die wissenschaftsgeleiteten Verfahren in Förderentscheidungen gewahrt bleiben: Die Wissenschaftsfreiheit ist für uns als Hochschulen die Grundlage allen Handelns.“
Der Link zum Beschluss der HRK: https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Doku...
Die Bundestagsentscheidung zum Antrag „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“
Als erste Entscheidung nach dem Ausscheiden der FDP aus der Bundesregierung hatte der Bundestag am 07. November den Antrag „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ (Drs. 20/13627) verabschiedet – zwei Tage vor dem Gedenktag der Nazipogrome am 09. November 1938. Die Resolution ist das Ergebnis monatelanger gemeinsamer Bearbeitung durch SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU, im Plenum stimmte lediglich das BSW dagegen. Die Linke enthielt sich in der Abstimmung, stattdessen hatte sie im Vorfeld einen Änderungsantrag (20/13653) vorgelegt - ebenso die Gruppe BSW (20/13654), Der Änderungsantrag der Gruppe Die Linke wurde mit Stimmen der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU/CSU und AFD gegen die Stimmen die Gruppen Die Linke und BSW abgelehnt. Auch der Antrag der Gruppe BSW wurde gegen Stimmen des BSW bei einzelnen Enthaltungen aus der Gruppe Die Linke von der Bundestagsmehrheit abgelehnt.
Zu den Kernpunkten des Bundestagsbeschlusses
Grundlage für die jetzige Beschlussfassung waren Anträge der damaligen Ampel-Koalition und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die zur Bundestagsdebatte am 9. November 2023 zum Schutz jüdischen Lebens (Titel „Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen“ vorgelegt worden waren (Koalitionsfraktionen [Drs. 20/9149 neu]; CDU/CSU-Fraktion [Drs. 20/9145]). In dem am 07. November gefassten Bundestagsbeschluss wird unterstrichen, dass die Bekämpfung des Antisemitismus die gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten darstelle: „Deutschland trägt vor dem Hintergrund der Shoah, der Entrechtung und der Ermordung von sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden, eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen auf Antisemitismus hinweisen, vor ihm warnen und laut und sichtbar gegen ihn eintreten.“
Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, jüdisches Leben in Deutschland zu stärken. Dazu gehöre unter anderem, die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten und insbesondere die Arbeit der Gedenkstätten und Erinnerungseinrichtungen sowie die historisch-politische Bildungsarbeit zu fördern. Das Parlament bekräftigte mit breiter Mehrheit die Feststellung, dass die haushaltsrechtlichen Regelungen für die Mittelvergabe auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für alle Zuwendungsempfänger des Bundes zu erfolgen hätten. Insofern dürften „keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.“
Meinungsfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sind hohe Güter, aber kein Raum für Antisemitismus
Zwar betont die Resolution, dass die Meinungsfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft hohe Güter seien, die durch das Grundgesetz garantiert und geschützt würden. Andererseits dürfe es aber auch in den Reihen von Kunst und Kultur sowie der Medien keinen Raum für Antisemitismus geben: „Die Ursachen und Hintergründe der großen Antisemitismusskandale der letzten Jahre in diesen Bereichen, insbesondere auf der „documenta fifteen“ und der Berlinale im Februar 2024 müssen umfassend aufgearbeitet werden und es müssen Konsequenzen gezogen werden." Verwiesen wird auch auf die gemeinsame Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände vom 13. März 2024. Danach sollten Länder, Bund und Kommunen „rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden“. Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Conduct und Awareness-Strategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.
Zu antisemitischen Vorfällen an Hochschulen stellt die Resolution klar, dass Artikel 5 des Grundgesetzes nicht nur die Wissenschaftsfreiheit mit Verfassungsrang schütze, sondern sich daraus auch die Verpflichtung ergebe dafür zu sorgen, dass Hochschulen uneingeschränkt auch für Lehrende wie Studierende mit jüdischen Wurzeln, israelischer Herkunft oder mit israelsolidarischem Denken sichere Orte seien. Antisemitisches Verhalten müsse auch in Schulen und Hochschulen Konsequenzen haben. Deshalb solle die Bundesregierung auf die Länder einwirken, eventuelle Regelungslücken in den Hochschulgesetzen zu schließen (Hausrecht, Exmatrikulation in schweren Fällen von Antisemitismus). Außerdem solle der Kampf insbesondere gegen Antisemitismus verbindlich in die entsprechenden Curricula von Studiengängen Eingang finden und Lehrende entsprechend qualifiziert sowie flächendeckend Beauftragte gegen Antisemitismus an Hochschulen ernannt werden.
Persönliche Erklärungen am Schluss des Bundestagsprotokolls
Wie aus dem Protokoll der Bundestagssitzung vom 07. November hervorgeht, hat eine Reihe von Abgeordneten zum Teil kritische persönliche Erklärungen abgegeben: Neben Heidi Reichinnek und Sören Pellmann (Die Linke) für die Gruppe Die Linke, Sevim Dağdelen für die Gruppe der BSW sind das die Abgeordneten Tobias B. Bacherle, Deborah Düring, Erhard Grundl, Tabea Rößner, Michael Sacher, Merle Spellerberg und Kassem Taher Saleh sowie in Einzelerklärungen die Abgeordneten Canan Bayram, Michael Kellner, Helge Limburg und Boris Mijatović (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Aus der SPD-Bundestagsfraktion haben sich teilweise in getrennten Erklärungen die Abgeordneten Bengt Bergt, Anette Kramme und Dr. Ralf Stegner sowie Ye-One Rhie und Lena Werner, ferner Leni Breymaier, Isabel Cademartori Dujisin und Hakan Demir, Annika Klose, Takis Mehmet Ali, Nadine Ruf und Dr. Nina Scheer zu Protokoll geäußert.