ELLY HAUS:KNAPP-STIFTUNG MÜTTERGENESSUNGSWERK : Innovative Trendsetterin, heute wie vor 70 Jahren

1. August 2021 // Hilda Lührig-Nockemann

zwd Berlin. Verschleißerscheinungen sind auch mit einem Alter von 70 ­Jahren nicht ­festzustellen. Das Müttergenesungswerk ist nicht etwa kränkelnd, sondern nach eigenen ­Angaben „innovative Trendsetterin“. Und das kommt nicht von ungefähr. Bundesweit, ja weltweit ist diese Organisation einzigartig. Schon in ihren ­Anfängen bot sie den Müttern mit „ganzheitlichen“ ­Angeboten mehr als nur die wohlverdiente Auszeit. Heute offeriert sie gendersensible ­Kuren – für Mütter und Väter.

Während bei der Gründung am 31. ­Januar 1950 das Denkschema der Nachkriegsgesellschaft die Einbeziehung von ­Männern unmöglich machte, gehört nunmehr das durch gesellschaftliche ­Veränderungen bedingte neue Familienbild zur Agenda des Müttergenesungswerkes. Damals ging es um die Gesundheit von Müttern, die von den Spätfolgen des Krieges gezeichnet waren. Elly Heuss-Knapp, die erste First Lady der Bundesrepublik, nahm dieses Elend wahr und schaffte es, mehrere Wohlfahrtsverbände für eine Stiftung „Deutsches Müttergenesungswerk“ zu gewinnen. Diese schenkte sie – werbewirksam – ihrem Mann, dem Bundespräsidenten Theodor Heuss (FDP), am 31. Januar 1950 zum Geburtstag. 20.000 Mark stellte sie selbst zur Verfügung und 2,5 Millionen Mark kamen – in ihrer Bestimmung als Spendenorganisation – im ers­ten Jahr durch Spendensammlungen zusammen. Der Grundstock für die Kur von 26.000 abgespannten Müttern war gelegt.

Nicht zuletzt war dieser Anfangserfolg darauf zurückzuführen, dass Elly Heuss-Knapp erreicht hatte, dass im Kriegshilfenfolgengesetz das Wort „Mütter“ aufgenommen wurde, sodass auch Kriegerwitwen ebenso wie Landfrauen und Müttern von behinderten Kindern oder Frauen von suchtkranken Männern eine Kur – damals ausdrücklich als Mütterkuren definiert – ermöglicht werden konnte. Damit hatte die Frauenrechtlerin für das Müttergenesungswerk den ersten frauenpolitischen Erfolg errungen.

Arbeit des Müttergenesungswerkes – frauenpolitisch definiert

In der nach der Gründerin des Müttergenesungswerkes benannten Elly Heuss-Knapp-Stiftung war die Arbeit immer auch eine frauenpolitische. In jahrzehntelangem Engagement gelang es der Stiftung, die Rahmenbedingungen für Kurmaßnahmen zu verbessern und zu erweitern um

  • die Verankerung „der vorbeugenden Gesundheitshilfe […] für Mütter in geeigneten Müttergenesungsheimen“ in dem am 1. Juni 1962 in Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetz (§ 36),
  • die 1983 erwirkte offizielle Anerkennung von Mutter-Kind-Kuren,
  • den für Krankenversicherte seit dem 1. Januar 1989 geltenden „Anspruch auf […] Vorsorgeleistungen“ (§ 24 SGB V) wie auch auf „erforderliche Rehabilitationsleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks“ (§ 41 SGB V). Die finanzielle Bezuschussung lag jedoch im Ermessen der Krankenkassen,
  • die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen (2002), sowohl Mütterkuren als auch Mutter-Kind-Kuren voll zu finanzieren,
  • die gesetzlichen Pflichtleistungen der Krankenkassen von sowohl Vorsorge- als auch Rehabilitationsmaßnahmen. Seit der Gesundheitsreform 2007 hat der Grundsatz „ambulant vor stationär“ keine Gültigkeit mehr.
  • Dennoch lag 2011 trotz erfolgreicher Widersprüche von Antragsablehnungen laut MGW die Ablehnungsquote immer noch bei 35 Prozent. Massive Kritik von Ärzt*innen und Wohlfahrtsverbänden veranlasste den Haushaltsausschuss, den Bundesrechnungshof mit der Überprüfung des Bewilligungsverfahrens der Kassen zu beauftragen, berichtete das Ärzteblatt 2012. Dieser sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Rechtsanspruch von den Kassen seit Jahren „nicht in einem ordnungsgemäßen Verwaltungshandeln“ umgesetzt werde und es einen „Anschein von Willkür“ gebe. Eine positive Wende leitete die zwischen den Krankenkassen und dem Müttergenesungswerk ausgehandelte neue Begutachtungsanleitung ein. Daraufhin konnte, wie im Datenreport 2020 der Stiftung aufgelistet wird, die Ablehnungsquote tatsächlich gesenkt werden – 2012 zunächst auf 19 Prozent und ab 2015 konstant auf 11 Prozent. Bei den Vätern dagegen wurden 2019 von den Erstanträgen immer noch 17 Prozent abgelehnt.

    Väterkomponente – Öffnung gegenüber dem modernen Familienbild

    Im Jahr 2019 war 47.000 Müttern (94,4 %) mit 70.000 Kindern, ca. 2.100 Vätern (4,2 %) und rund 700 (1,4%) pflegenden Angehörigen – ausschließlich Müttern – eine Kur bewilligt worden. Das waren nahezu doppelt so viele Personen wie im Gründungsjahr des Müttergenesungswerkes vor 70 Jahren. Nicht nur die Anzahl der Kurteilnehmer*innen ist augenfällig, sondern auch die Ausdehnung auf das männliche Geschlecht und den Pflegebereich.

    Diese Erweiterung war ein weiterer politischer Meilenstein des Müttergenesungswerkes: 2002 wurden Väter- und Vater-Kind-Kuren erstmalig gesetzlich verankert. Mit der Bildung der „Zustiftung Sorgearbeit“ (2013) kann die Arbeit, die von der Stifterin auf Mütter fokussiert war, nunmehr auch auf Väter und pflegende Angehörige ausgedehnt werden.

    Mit dieser Erweiterung hat das Müttergenesungswerk der neuen Zeit, in der auch Väter Familienarbeit und viele Angehörige (insbesondere Frauen) familiäre Pflegearbeit leis­ten, Rechnung getragen. Dass 2019 unter den Kurteilnehmer*innen noch nicht einmal sechs Prozent Väter und Pflegenden waren, lässt darauf schließen, dass das Angebot nicht genügend bekannt ist. Immerhin gab es 2019 laut statista 407.000 alleinerziehende Väter (rund ein Fünftel der 2.199.000 alleinerziehende Mütter). Von ihnen haben – falls alle Kurteilnehmer alleinerziehend gewesen waren – lediglich 0,5 Prozent eine Kur beim Müttergenesungswerk in Anspruch genommen. Vom MGW erfuhr das zwd-POLITIKMAGAZINs, dass nur eine Klinik partiell ausschließlich Väter mit und ohne Kinder aufnimmt. 20 weitere Kliniken böten in Mütterkliniken zu bestimmten Zeiten neben den Mutter-Kind-Kuren auch Vater-Kind-Kuren auf gesonderten Stationen an. Obwohl die Organisation ausschließlich mit Müttern – ohne Kinder – gestartet sei, gebe es heute nur noch fünf reine Mütter-Kliniken.

    Für das Jahr 2016 ermittelte das Statistische Bundesamt, dass 64 Prozent der Väter (88 % der Mütter) an der täglichen Erziehung beteiligt waren. Dennoch spielten Mütter nach wie vor eine besondere Rolle, denn schon bei der täglichen Hausarbeit und beim täglichen Kochen änderte sich der Proporz. Dieser Part wurde zu 72 Prozent den Müttern überlassen, nur 29 Prozent der Väter übernahmen ihn. ­Diese Schieflage kam zustande, auch wenn beide Eltern (74 %) berufstätig waren. Zwei Jahre später übten laut dem Statistischen Bundesamt 22,7 Prozent der verheirateten Mütter einen Beruf in Vollzeit und 54,6 Prozent in Teilzeit aus. Die-se Tendenz dürfte steigend sein. Wenn sich ­arbeitsmarktpolitisch nichts ändert, ist das zum Nachteil der Mütter. Denn laut dem Zweiten Gleichstellungsbericht des Bundesfamilienministeriums (Juni 2017) klafft ein immenser ­Unterschied bei der Familienarbeit zwischen Eltern: „In Paarhaushalten mit Kindern fällt − vor allem aufgrund der Kinderbetreuung − die meiste Care-Arbeit an. Mütter verrichten in dieser Konstellation täglich 2 Stunden und 30 Minuten mehr Care-Arbeit als Väter, sodass der gesamte Gender Care Gap für Personen in Paarhaushalten mit Kindern 83,3 % beträgt.“

    Neue Wege – gendersensible ­Kurangebote und Vernetzung mit ­geschlechtsspezifischer Gesundheitsforschung

    Die Geschäftsführerin der Elly Heuss-Knapp-Stiftung, Anne Schilling, sieht in diesem Sachverhalt auch den Spiegel der Gesellschaft, denn deren Blick besage immer noch, dass „eine Mutter zuständig für Familie“ sei, sagte sie im Januar 2020 im Deutschlandfunk. In der Süddeutschen Zeitung konkretisierte sie ihre Auffassung: „Das alte Rollenmuster ist aufgeladen mit neuen Erwartungen an die Frauen“. Folgen der Doppel- und Dreifachbelastung in Familie, Beruf und Pflege seien Angstzustände, depressive Verstimmungen, Gereiztheit, Rückenschmerzen und Schlafstörungen, erklärte sie die Situation der Mütter. Noch häufiger als Eltern fühlen sich Alleinerziehende gestresst und belastet, zumal in vielen Fällen das Gehalt einer Teilzeitstelle nicht ausreicht. Deshalb sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf „nicht ohne gesundheitliche Unterstützung und gesetzliche Rahmenbedingungen zu denken“, hebt die (ehrenamtliche) Kuratoriumsvorsitzende, die SPD-Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler, auf der Website des MGWs hervor und bezieht auch die Väter und pflegenden Angehörigen mit ein. Ein Indiz dafür, dass die Organisation mit Gender ernst macht, sind sowohl die gendersensiblen Kuren wie auch die Vernetzung mit der geschlechtsspezifischen Gesundheitsforschung.

    Lockdown – MGW beim ersten ­Rettungsschirm schlicht vergessen

    Während des Lockdowns blieb nur eine Klinik geöffnet. Trotz der sich daraus ergebenden finanziellen Einbußen und folglich der existenziellen Bedrohung ihrer Einrichtungen wurde das Müttergenesungswerk beim ersten Corona-Rettungsschirm schlichtweg vergessen. Und das obwohl Mütter und Väter während dieser Krisenzeit besonders hohen familiären Belas­tungen ausgesetzt waren und die Absicherung ihrer dringend notwendigen Kuraufenthalte nach dem Lockdown eines finanziellen Pols­ters bedurft hätte. Um bei dem sich heute manifestiertem Begriff „systemrelevant“ zu bleiben, gehörte die Familienarbeit für die maßgeblichen Politiker*innen wohl nicht zu dieser Kategorie. Das Müttergenesungswerk kämpfte um die Einbeziehung ihrer Einrichtungen in das neue Rettungs-Paket. Der Blickwinkel änderte sich: In der am 5. Mai in Kraft getretenen COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung wurden unter §3 „Einrichtungen des Müttergenesungswerks oder gleichartige Einrichtungen“ explizit aufgenommen. Somit werden durch den 2. Corana-Rettungsschirm nach §111a SGB V 60 Prozent der Einnahmeausfälle des MGWs ersetzt.

    Verlängerung des Rettungsschirmes

    Ende Juli hatten 60 Kliniken, derzeit haben 71 der insgesamt 74 unter dem Dach des MGW zusammengeschlossenen Kliniken ihren Betrieb wieder aufgenommen – mit Infektionsschutzkonzepten und dadurch bedingter eingeschränkter Auslastung. Aufgrund der zunehmenden Infektionszahlen ist mit einer Änderung der Situation nicht zu rechnen. Daraus resultieren erhebliche Mindereinnahmen, die jedoch von den Kliniken selbst nicht kompensiert werden könnten, rechnete Stadler vor.

    Deshalb fordert das Müttergenesungswerk eindringlich, die laut Stadler bereits im Gesetz angelegte Verlängerung des Rettungsschirms auch auf ihre Institution anzuwenden und die Frist für die Ausgleichszahlungen vom 30.09.2020 auf den 31.03.2021 zu verlängern. Das wäre eine gute Basis, um die Existenz der Organisation, von der die zwölfte Schirmherrin Elke Büdenbender sagt „Wenn es das Müttergenesungswerk nicht gäbe, müsste man es erfinden“, für die Erholung und Rehabilitation von Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen zu erhalten!

    Dieser Text wurde zuerst im zwd-POLITIKMAGAZIN, Ausgabe 381 vom 25.10.2020 veröffentlicht. Die Originalversion einschließlich eines Gastbeitrages der Gattin des Bundespräsidenten, Elke Büdenbender, sowie ein Interview mit der Geschäftsführerin der Elly Heuss-Knapp-Stiftung, Anne Schilling, können Sie hier kostenfrei herunterladen.

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