OECD-BERICHT "BILDUNG AUF EINEN BLICK 2024" : Jeder sechste junge Erwachsene in Deutschland ohne höheren Schulabschluss

11. September 2024 // Fabian Runkel

Deutschland ist nach Befunden der OECD eines von nur vier Ländern, in dem die Zahl der Menschen ohne Abitur oder Berufsausbildung in den letzten Jahren angestiegen ist. 16 Prozent der 25- bis 34-Jährigen erreichen keinen Abschluss – 2 Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt. Mädchen und junge Frauen sind in der Bildungsqualifizierung im Vergleich zu Männern auf der Erfolgsspur, müssen sich aber immer noch später auf dem Arbeitsmarkt hinten anstellen.

11. September 2024 (ru). Schlechtere Zahlen trotz höherer Ausgaben: Obwohl Deutschland die Investitionen in die Bildung abseits der Universitäten zwischen 2015 und 2021 um 8 Prozent hat erhöhen können, sank der Anteil junger Menschen, welche die Sekundarstufe II, also das Abitur oder eine berufliche Ausbildung absolvieren. Dies geht aus dem diesjährigen Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, den sie am 10. September präsentierte.

Männer fallen bei der genannten Quote des Sek-II-Abschlusses besonders negativ auf: Bei ihnen beträgt die Zahl 18%, bei Frauen nur 15%. Am anderen Ende des Bildungsspektrums machen laut OECD heute zwar gut doppelt so viele Frauen einen tertiären Bildungsabschluss (also Uni, Hochschule, etc.) als noch vor ein paar Jahren, mit 40% hinkt Deutschland aber auch hier gut 7% hinter dem OECD-Durchschnitt. Obwohl Frauen und Mädchen „fast allen [der OECD] vorliegenden Indikatoren zufolge […] bessere Bildungsergebnisse als Jungen und Männer“ erzielen, sind es weiterhin die Männer, welche später häufiger in den Arbeitsmarkt eintreten – je geringer der erzielte Abschluss, desto größer diese Diskrepanz.

Verpasste Chancen mit lebenslangen Folgen

Die OECD betonte, wie wichtig gerade frühkindliche Bildung für einen andauernden Lernerfolg sei. Obgleich Deutschland hier mehr die Finanzen angehoben hat als nahezu jedes andere Land, sank die „Teilnehmerquote der 3- bis 5-Jährigen an frühkindlicher Erziehung“ – wobei dieser Anteil mit 93% immer noch deutlich über dem OECD-Mittelwert lag. Nach Einschätzung der OECD ist Deutschland in diesem Sektor besonders gefordert, da die Zahl der Kinder zwischen 3 und 5 die letzten 10 Jahre mehr angestiegen ist als in jedem anderen OECD-Land.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat mit Blick auf die Ergebnisse der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2024“ angemahnt, mehr Geld gezielt in eine bessere Qualität der Bildung zu investieren.

Nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbands (DL) spürt man in den Klassenzimmern besonders den Anstieg an Zugewanderten. Man müsse in jungen Jahren ansetzen: „Im frühkindlichen Bereich müssen wir denjenigen helfen, die in ihren Sprachkenntnissen – aus welchen Gründen auch immer – zurückliegen,“ wertete der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Stefan Düll die Befunde der OECD. Genauso belaste ein „Langanhaltender Lehrkräftemangel“ an den Berufsschulen den Bildungssektor.

Der Bericht der OECD verdeutlicht die Hürde, die migrantische Personen in ihrer Bildung überwinden müssen: Wer vor dem 16. Lebensjahr nach Deutschland einreist und hier die eigene Bildung fortsetzt, hat nur halb so hohe Chancen auf einen Hochschul- oder vergleichbaren Abschluss als im OECD-Durchschnitt.

Lösung oder schon jetzt ungenügend?

Im August dieses Jahres lief das neue Startchancen-Programm der Bundesregierung an, um auf eben diese und andere Herausforderungen zu reagieren. Auch in Antwort auf den OECD-Bericht betonte der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr. Jens Brandenburg das Potenzial des Programms: „Mit dem Startchancen-Programm investieren Bund und Länder gemeinsam in erfolgreiche Bildungsbiografien, in Fachkräfte von morgen, in unsere Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und in die Stabilität unserer Demokratie.“

Experten hingegen kritisieren das Startchancen-Programm besonders in Hinblick auf die besonderen Herausforderungen von Zuwanderung als ungenügend (wir berichteten). So auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): Das Startchancenprogramm sei ein Schritt in die richtige Richtung, aber es „muss ausgebaut, besser finanziert und verstetigt werden, sonst erreicht es zu wenige der Kinder, die dringend unterstützt werden müssen,“ wertete GEW-Vorsitzende Maike Finnern das Projekt. „In Kitas und Schulen benötigen wir mehr gute Fach- und Lehrkräfte für ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot. Sonst verschärft der dramatische Fachkräftemangel die soziale Spaltung weiter, statt dass Bildung für mehr Chancengleichheit sorgt.“

Die OECD zeigte anhand ihrer Statistiken die Gefahren eines Abschlusses unterhalb Sekundar-II auf: Die Arbeitslosenquote bei jungen Erwachsenen ist in dieser Gruppe beinahe 20% höher als bei denen, die Sekundar-II ohne den tertiären Weg absolvierten. Genauso sei das Risiko auf Niedriglohn höher, je geringer der erreichte Schulabschluss. In Deutschland sei diese Gefahr besonders hoch: Niedrige Löhne werden hier 15% öfter an den Bildungsbereich unterhalb Sekundar-II gezahlt als im internationalen Vergleich, während die Niedriglohnquoten bei höherem Abschluss sich mit dem OECD-Durchschnitt nahezu decken.

Von denjenigen Erwachsenen, die zumindest Sekundarstufe-II erreichten, erlangten die allermeisten auch eine Arbeit; mit 2,9% hatte Deutschland in diesem Bereich die zweitniedrigste Erwerbslosenquote der OECD. Schülerinnen und Schüler erfolgreich zu diesem Bildungsstand zu führen, bleibt auch laut den Ergebnissen der OECD weiterhin eine Herausforderung für die Bundesregierung, genau wie eine adäquate Integration Zugezogener im Kindesalter und eine tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt.

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