STARTCHANCENPROGRAMM : Ein Anfang: Königsteiner Schlüssel teilweise gekippt

23. September 2023 // Redaktion/ig

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat sich nach langen zähen Verhandlungen mit den Spitzen der Kultusministerkonferenz auf ein Eckpunktepapier zum Startchancenprogramm verständigt. Dabei haben die Länder erstmals auf Drängen des Bundes zugestanden, dass bei dem vom Bund zur Hälfte mitfinanzierten Programm teilweise von dem Königsteiner Schlüssel abgewichen werden kann. Ziel ist eine stärker an armutsbasierten Sozialkriterien ausgerichtete Förderung.

BildQ: Livestream  BMBF
BildQ: Livestream BMBF

Die Ministerin hat am Donnerstag (21.09.) gemeinsam mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Katharina Günther-Wünsch (CDU), dem Hessischen Kultusminister Alexander Lorz (CDU) und dem Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) ein Eckpunktepapier zum Startchancen-Programm vorgestellt,. Darin heißt es unter anderem, das Programm solle deutlich dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems in Deutschland nachhaltig zu verbessern "und den noch immer starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufzubrechen".

Start mit 1.000 Schulen

Stark-Watzinger betonte, das Startchancen-Programm sei ein zentrales Vorhaben der 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Es werde drei zentrale Programmsäulen beinhalten:

  • Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und förderliche Lernumgebung,
  • Chancenbudget für bedarfsgerechte Lösungen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung,
  • Personal zur Stärkung multiprofessioneller Teams.

Laut Eckpunktepapier soll das Programm soll im Schuljahr 2024/25 mit 1.000 Schulen starten. Durch die Länder soll sichergestellt werden, dass zum Schuljahr 2026/27 alle Startchancen-Schulen in das Programm eingemündet sind. Die zehnjährige Laufzeit des Programms soll Planungssicherheit gewähren sowie der Langfristigkeit von Veränderungsprozessen im Bildungswesen Rechnung tragen.

Die Verantwortlichen für Bildung "ziehen verstärkt an einem Strang"

Im Interesse der Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen wollen die Bildungsminister:innen Kräfte, Expertise und Erfahrungen bündeln. Wörtlich heißt es dazu im Eckpunktepapier: "Künftig ziehen Bund, Länder und Kommunen und diejenigen, die in der Bildungspraxis, in der Zivilgesellschaft und in der Wissenschaft Verantwortung für Bildung tragen, verstärkt an einem Strang".

Zur Auswahl der Schulen heißt es, die Startchancen-Schulen verteilten sich nach einem Schlüssel auf die sechzehn Länder, der sich aus den jeweiligen Landesanteilen an den Programmmitteln des Bundes beim Programmstart ergebe. Dadurch solle insgesamt sichergestellt werden, dass die Verteilung der Schulen "an den Programmzielen orientiert und kongruent zu der Verteilung der Programmmittel erfolgt".

Um der heterogenen Ausgangslage im Bundesgebiet im Hinblick auf die Datenverfügbarkeit Rechnung zu tragen, hat sich die Verhandlungsgruppe darauf verständigt, bei der Auswahl der einzelnen Schulen auf Landesebene auf einen einheitlicher Sozialindex für alle Länder zu verzichten. Allerdings wird betont, die Auswahl der geförderten Schulen habe durch das jeweilige Land anhand geeigneter und transparenter Kriterien zu erfolgen. Diese müssten "wissenschaftsgeleitet sein und sich an der Zielsetzung des Startchancen-Programms ausrichten". Als Vorgabe gilt, dass die Länder vor Programmbeginn die als Startchancen-Schulen geförderten Schulen im jeweiligen Land benennen und dabei die zugrunde gelegten Indikatoren ausweisen, die im Sinne der Programmziele einen besonderen Handlungsbedarf anzeigen. Als Mindestanforderung sind die Benachteiligungsdimensionen Armut und Migration anzulegen, da die Wissenschaft hier eine hohe Korrelation mit Bildungsteilhabe und Bildungserfolg ausweist. Länder, die bereits eigene Sozialindizes entwickelt haben, sollen diese nutzen können. Jedes Land stellt vor Programmbeginn Einvernehmen mit dem Lenkungskreis über die zugrunde gelegten Sozialkriterien her.

Halbierung der Zahl von Schüler:innen, die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen

Im Eckpunktepapier wird die Stärkung der Basiskompetenzen, d.h. auf den Kernkompetenzen in Lesen, Schreiben, Mathematik, in den Vordergrund gerückt. Ziel ist es, bis zum Ende der Programmlaufzeit die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen, an den Startchancen-Schulen zu halbieren. Institutionell soll das Programm die relevanten Akteure der Schulgemeinschaft, das Kollegium inkl. des gesamten pädagogischen Personals, aber insbesondere auch die Lernenden und die Elternschaft in systematischer und professioneller Weise einbeziehen. Angestrebt werden soll eine stärkere Vernetzung in den Sozialraum, der Auf- und Ausbau von Schulnetzwerken und außerschulischen Kooperationen, insbesondere auch mit Partnern der Ausbildung. Ferner soll die Weiterentwicklung und Umsetzung verbindlicher und konstruktiver Kooperationsformate zwischen der Bildungsverwaltung, insbesondere der Schulaufsicht, den zuständigen Behörden und den Verantwortlichen in den Schulen im Hinblick auf Zielbestimmung, Prozessbegleitung und Zielerreichung vorangetrieben werden.

Veränderte Form der Finanzverteilung

Hatten die Kultusminister bisher darauf beharrt, 95 Prozent der Fördermittel nach dem Königsteiner Schlüssel und lediglich fünf Prozent für besonderes armutsbelastete Länder ausgereicht werden sollen, enthält das Eckpunktepapier nun andere Vorgaben zu den drei Säulen des Programms.

Zeitgemäße und förderliche Lernumgebung

Zur anteiligen Finanzierung von Säule I (Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und förderliche Lernumgebung) gewährt der Bund den Ländern über die Gesamtlaufzeit von zehn Jahren Finanzhilfen in Höhe von rund 4 Milliarden Euro auf Basis von Art. 104c GG. Ausdrücklich heißt es dazu:

Die Mittel verteilen sich nach einem Schlüssel, der sich bedarfsorientiert an den Zielen des Programms ausrichtet. Dieser Schlüssel setzt sich wie folgt zusammen:

  • 40 Prozent Anteil der unter 18- Jährigen mit Migrationshintergrund,
  • 40 Prozent Armutsgefährdungsquote der unter 18- Jährigen und
  • 20 Prozent negatives BIP.

Chancenbudget

Zur anteiligen Finanzierung von Säule II (Chancenbudget für bedarfsgerechte Lösungen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung) wird der Bund den Ländern zeitlich befristet zusätzliche Umsatzsteuerfestbeträge gewähren. Dazu ist eine Änderung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG) geplant. Klargestellt wird in diesem Zusammenhang, das eine Verwendung der Mittel für andere Zwecke als für das Startchancen-Programm eine Zweckentfremdung darstellen würde. Allerdings sind, wie im dem Papier deutlich wird, die Sanktionsmöglichkeiten des Bundes begrenzt. Der Anteil des Bundes für diese Programmsäule ist mit jährlich 300 Millionen Euro ab 2025 veranschlagt (in den Jahren 2024 und 2034 jeweils nur 150 Millionen Euro).

Multiprofessionelle Teams

Die Finanzierung von Säule III (Personal zur Stärkung multiprofessioneller Teams) erfolgt analog zu Säule II über eine Änderung der vertikalen Umsatzsteuerverteilung im Finanzausgleichsgesetz zugunsten der Länder. Wie bei Säule II wird der Anteil des Bundes für diese Programmsäule mit jährlich 300 Millionen Euro ab 2025 veranschlagt (in den Jahren 2024 und 2034 jeweils nur 150 Millionen Euro). Auch die Zweckentfremdungsklausel ist Teil der Finanzvereinbarung.

"Lernendes Programm"

Die Gesamtsteuerung des Startchancen-Programms richten Bund und Länder einen Lenkungskreis auf Ebene der Staatssekretär:innen ein. Einmal jährlich sollen die Sitzungen des Lenkungskreises für einen beratenden Austausch mit weiteren vorab benannten Stakeholdern aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Praxis geöffnet werden: "Dies ist Ausdruck einer modernen Kooperationskultur und unterstreicht das Selbstverständnis des Startchancen-Programms als lernendes Programm."

GEW: Gut für den Anfang, aber zu wenig Geld

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die vorläufige Einigung von Bund und Ländern zum „Startchancenprogramm“ grundsätzlich begrüßt. Sie stellte jedoch fest, dass für das Programm viel zu wenig Geld bereitgestellt werde, denn im besten Fall stünden dafür in den nächsten zehn Jahren lediglich jährlich nur zwei Milliarden Euro zur Verfügung: "Der Bedarf ist viel höher“, sagte GEW-Vorsitzende Maike Finnern am Freitag mit Blick darauf , dass das Programm nur rund zehn Prozent aller Schüler:innen erreiche. Hingegen seien etwa 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen arm oder armutsgefährdet. Ihre Kritik an der Finanzierung des Programms begründete Finnern mit Berechnungen, wonach allein der Sanierungsstau an Schulen rund 45 Milliarden Euro betrage. Die Gewerkschafterin betrachtet das Programm nur als Einstieg in eine dauerhafte, solide Finanzierung benachteiligter Schulen. Es müsse über die zehnjährige Laufzeit hinaus verstetigt und besser ausfinanziert werden.

Chance verpasst, das Gießkannenprinzip zu beenden

Nach den Worteh der GEW-Chefin haben Bund und Länder haben die "Chance verpasst", das Gießkannenprinzip bei der Verteilung der Gelder zu beenden. Denn lediglich die Mittel der ersten Säule des Programms sollten über einen Schlüssel nach Sozialindex verteilt werden. Die Gelder für die anderen beiden Säulen, die einen wesentlichen Teil des Programmes ausmachen, würden weiterhin bedarfsunabhängig vergeben. "Die Gelder müssen da ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden: bei den armen Familien und Kindern“, betonte Finnern. Wenn zudem die Länder eigene Programme, die ähnliche Ziele wie das Startchancenprogramm verfolgen, auf ihre Ko-Finanzierung anrechnen könnten, dürfe dies aber nicht dazu führen, dass "sich die Länder aus der Mit-Finanzierung verabschieden“, sagte die GEW-Vorsitzende. Positiv sei, dass das Programm bei der Auswahl der Schulen einen Schwerpunkt auf den Primarbereich lege und als Kriterien für die Auswahl der zu unterstützenden Schulen „Armutsgefährdung“ und „Migrationshintergrund“ entscheidend seien.

  • Siehe auch zwd-POLITIKMAGAZIN, aktuelle Ausgabe 398

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