WISSENSCHAFTSZEITVERTRAGSGESETZ - NEUER REFERENTENENTWURF : Ministerin Stark-Watzinger (FDP) versucht Alleingang vorbei an SPD und Grünen

13. Juni 2023 // Holger H. Lührig

Der von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am 6. Juni vorgelegte überarbeitete Referentenentwurf eines neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) ist bei den Betroffenen-Bündnissen und Gewerkschaften auf herbe Kritik gestoßen. Sie mobilisieren dagegen nun im Rahmen einer #Aktionswoche Wissenschaft. Bereits im Vorfeld hatten die maßgeblichen Sprecherinnen von SPD und Grünen, Carolin Wagner und Laura Kraft, dem Entwurf eine Absage erteilt. Daraufhin entschloss sich die Ministerin zu einem Alleingang.

BilkdQ: GEW-Demobild (Foto: Susanne Gnädig, Potsdam)
BilkdQ: GEW-Demobild (Foto: Susanne Gnädig, Potsdam)

SPD: "Die Montagehalle war zu klein für einen großen Wurf"

Unter Anspielung auf eine Bemerkung der Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium (BMBF) Prof.in Sabine Döring vom 19. März dieses Jahres, der Entwurf müsse "zurück in die Montagehalle", gab die stellvertretende bildungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Carolin Wagner zu Protokoll: "Die Montagehalle war zu klein für den großen Wurf". In einer von der SPD-Bundestagsfraktion veröffentlichten Mitteilung vom 6. Juni wird zwar anerkannt, dass die Ministerin erste in der Koalition verabredete wichtige Verbesserungen für die Beschäftigten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen übernommen habe. Das gelte insbesondere im Hinblick auf die Mindestvertragslaufzeiten für Promovierende und verbindlichere Schutzrechte für die Betreuung von Kindern und Angehörigen. Nötig seien aber deutlich frühere Entfristungsperspektiven und mehr Beinfreiheit für die Tarifparteien. Deshalb seien im parlamentarischen Verfahren weitere Verbesserungen erforderlich. Wörtlich heißt es dazu in der Erklärung von Wagner:

Carolin Wagner (BildQ: Webseite Wagner, Foto: Selin Jasmin„Als SPD-Bundestagsfraktion kämpfen wir für frühere und verlässliche Karriereperspektiven in der Wissenschaft. Damit halten wir den Forschungsstandort Deutschland in Zeiten des Fachkräftemangels international attraktiv. Der Wettbewerbsdruck darf nicht alleine auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.
Ausschlaggebend ist für uns die Frage, wann die Anschlusszusage in der Postdoc-Phase greift – unserer Ansicht nach muss dies zügig nach der Promotion erfolgen, spätestens nach zwei Jahren. Die von der Ministerin vorgeschlagenen Regelung greift hier zu spät. So wird der Wandel zu mehr entfristeten Stellen im Wissenschaftsbetrieb behindert. Die Öffnung der Tarifsperre auch in dieser Frage wäre zusätzlich ein starkes Instrument in den Händen der Tarifparteien. Damit könnten sie sozialpartnerschaftliche Lösungen erreichen.“ (BildQ: Webseite Wagner F. Selin Jasmin)

Grüne: "Nicht konsensfähig"

Die Obfrau der Grünen Bundestagsfraktion für das WissZeitVG Laura Kraft bescheinigte allen Seiten, sie hätten engagiert verhandelt, trotz einiger positiver Ansätze hätte dennoch keine Einigung erzielt werden können. In einer Stellungnahme für das zwd-POLITIKMAGAZIN erklärte die Grünen-Politikerin wörtlich

„Der letzte Vorschlag des BMBF war für uns Grüne nicht konsensfähig, insbesondere im Hinblick auf die Post-Doc-Phase. Wir wollen mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit für Beschäftigte nach der Promotion, ohne dass sich der Druck auf diese zusätzlich erhöht. Deshalb setzen wir uns weiterhin dafür ein, Qualifizierung im Gesetz klarer zu definieren, die Rolle der Tarifpartner zu stärken und Befristungshöchstquoten zu verankern.“ Trotz der Differenzen enthält der Referentenentwurf des BMBF bereits sehr positive Ansätze, auf die wir uns im Eckpunktepapier bereits verständigen konnten. Das sind insbesondere die Ausweitung der familienpolitischen Komponente und die Einführung von Mindestvertragslaufzeiten für Studierende, Promovierende und Post-Docs. Mir ist wichtig, dass es nun im parlamentarischen Prozess weitergeht und wir es schaffen, deutliche Verbesserungen für die Beschäftigten an unseren Hochschulen zu erreichen. Dafür braucht es auf jeden Fall weitere Änderungen am WissZeitVG und auch begleitende Bund-Länder-Maßnahmen, die über das WissZeitVG hinausgehen, damit strukturelle Verbesserungen nachhaltig ausgebaut werden können und man den unterschiedlichen Bedarfen gerecht wird. Hierbei begrüßen wir auch den vom Wissenschaftsrat eingeleiteten Prozess." (F: Webseite Kraft)

Die Bildungsministerin hatte den überarbeiteten Referentenentwurf am 6. Juni in einem Pressegespräch vorgestellt. Wesentliche Argumente sind dazu auf der Webseite des Ministeriums dargestellt worden. In der Koalition wird nun davon ausgegangen, dass mit einer Sachverständigenanhörung noch zu Verbesserungen an dem Stark-Watzinger-Entwurf erreichbar sind. Das erwarten auch die Veranstalter der #Aktionswoche Wissenschaft.

GEW: Kotau vor den Wissenschaftsarbeitgebern - Ampel soll Entwurf stoppen

Die GEW hat die Ampel-Koalition aufgerufen, das Stark-Watzinger-Vorhaben zu stoppen. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende und Hochschulexperte Andreas Keller warf dem FDP-geführten Ministerium vor, mit dem neuen Referentenentwurf weitgehend den in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zusammengeschlossenen Wissenschaftsarbeitgebern zu folgen. Damit sei kein fairer Interessenausgleich gegeben, sagte Keller, der dem BMBF einen "Kotau vor den Arbeitgebern" vorwarf. Der Gewerkschafter macht das an der Tatsache fest, dass das BMBF bei der umstrittenen Neuregelung der Postdoc-Befristung „eins zu eins“ dem Ansatz der Allianz gefolgt sei. Keller unterstrich demgegenüber:

Die Verkürzung der Höchstbefristungsdauer von sechs auf vier Jahre greift zu kurz, um die Arbeitgeber zu einer Veränderung ihrer Befristungspolitik zu zwingen. Sie werden in Zukunft versuchen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler statt in sechs schon in vier Jahren durch die Postdoc-Phase zu schleusen – der Druck auf die befristet Beschäftigten wird weiter zunehmen, sollte der BMBF-Referentenentwurf Gesetz werden. Die Anschlusszusage, die die GEW anmahnt, kommt vier Jahre nach der Promotion zu spät – viele Postdocs werden dann auf die Straße gesetzt oder auf weiteren Zeitverträgen in Drittmittelprojekten eingesetzt.“

Keller erinnerte an den Vorschlag aus dem Dresdner Gesetzentwurf der GEW, eine Anschlusszusage direkt nach der Promotion vorzusehen. Diese bedeute, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis entfristet wird, wenn vereinbarte Ziele in Forschung und Lehre erreicht werden.

verdi: Referentenentwurf "absurd"

Das verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler übte scharfe Kritik an dem trotz Überarbeitung "enttäuschenden" Referentenentwurf:

"Die Bundesbildungsministerin ignoriert sämtliche dagegen vorgebrachte Argumente und Proteste. Es braucht eine grundlegende Reform des Befristungsrechts an Hochschulen und Forschungseinrichtungen".

Für die Gewerkschafterin ist absurd, dass "hoch qualifizierte Beschäftigte, die nach ihrem Studium auch die Promotion abgeschlossen haben, weiterhin auf Jahre hinaus befristet sein (sollen), weil sie sich angeblich noch qualifizieren müssen." Verdi bemängelt, dass laut Referentenentwurf Wissenschaftler:innen nach ihrer Promotion vier Jahre ohne weitere Begründung auf Zeit angestellt sein können solle. Danach sollte Befristungen zwei weitere Jahre möglich sein, wenn den Betroffenen im Anschluss ein unbefristeter Arbeitsvertrag unter bestimmten Bedingungen zugesagt wird. Vorstandsmitglied Bühler erwartet vom Bundestag, den vom BMBF zunächst aber erst noch im Kabinett einzubringenden Gesetzentwurf nachbessert: »Die weiterhin zulässige sachgrundlose Befristung nach der Promotion wird den Druck auf die Beschäftigten absehbar nur weiter erhöhen. Planungssicherheit und attraktive Berufswege in der Wissenschaft werden so nicht erreicht. So ist es aber im Koalitionsvertrag vereinbart." Das gelte auch bei der sogenannten Tarifsperre, die die Möglichkeiten von Tarifvertragsparteien einschränkt, Befristungen an Hochschulen per Tarifvertrag zu regulieren. »Tarifvertragsparteien müssen Vereinbarungen selbstständig treffen können«, betonte die Gewerkschafterin.

Positiv wertete sie das Vorhaben der Regierungskoalition, Mindestvertragslaufzeiten festzuschreiben. Studentische Beschäftigte sollen demnach mindestens ein Jahr, Promovierende wenigstens drei Jahre angestellt werden. Auch hier müsse allerdings noch nachgebessert werden, forderte Bühler, denn angesichts einer durchschnittlichen Promotionszeit von 5,7 Jahren seien dreijährige Verträge deutlich zu kurz. Studentische Beschäftigten sollten, wie in Berlin, zwei Jahre Sicherheit haben.

Zur Aktionswoche aufgerufen haben die DGB-Gewerkschaften GEW und verdi gemeinsam mit dem Bund demokratischer Wissenschaftler*innen (BdWi), dem freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs), dem Netzwerk von Promovierendennetzwerken N², dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss), dem Verein respect science e. V. und der bundesweiten TVStud-Bewegung aufgerufen. Für den 23. Mai ist ein virtuelles Informations- und Vernetzungstreffen für alle Interessierten geplant.

Hier der Link zur Aktionswoche Wissenschaft. Die Aktionswoche wird auf der gemeinsamen Social Wall dokumentiert und begleitet – dies gilt für alle Postings bei Instagram & Twitter, die den Hashtag #AktionswocheWissenschaft verwenden; bei Facebook, wenn zusätzlich zum Hashtag #AktionswocheWissenschaft der Account @dgb.gewerkschaftsbund verlinkt wird.


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