HILDA LÜHRIG-NOCKEMANN; zwd-CHEFREDAKTEURIN : Mit feministischer Außenpolitik neue Ansätze der Diplomatie im Auswärtigen Amt etablieren

22. März 2022 // Hilda Lührig-Nockemann

Mit der Ankündigung, künftig eine feministische Außenpolitik in das Zentrum ihres diplomatischen Handelns zu rücken, hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ein Signal für eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gesetzt. zwd-POLITIKMAGAZIN-Chefredakteurin Hilda Lührig-Nockemann hat dazu in der jüngsten Ausgabe Nr. 390 des Magazins eine Titelgeschichte publiziert.


Die Besetzung des höchsten Diplomatenamtes in Deutschland mit einer Frau ist eine richtungweisende Botschaft. Die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock ist die erste Frau an der Spitze der deutschen Außenpolitik und setzt Zeichen.

Hilda Lührig-Nockemann

Sie macht „Feministische Außenpolitik“ zu einem ihrer Schwerpunkte. Erfunden hat sie diesen Ansatz nicht, aber in der deutschen Politik bekommt er erstmals ein Gesicht, denn alle bisherigen Außenminister:innen – allesamt männlich – haben dieses Thema außen vor gelassen. Nun wird eine Frau ganz im Sinne des Koalitionsvertrages „mehr Fortschritt“ im Außenministerium wagen. Nicht nur mit der Fokussierung auf Genderaspekte, aber auch!

Vom Antrag in den Koalitionsvertrag

Noch in der letzten Legislaturperiode waren die Forderungen nach einer feministischen Außenpolitik von Linken und Grünen durchgefallen. Und das, obwohl das Auswärtige Amt in Person von Staatsministerin Michelle Müntefering (SPD) am 22.Februar 2019 bei der Bundestagsdebatte ausdrücklich erklärt hatte „Der Antrag der Grünen hat seine Berechtigung“. Im Oktober 2020 war lapidar, ohne Aussprache der Antrag der Linken (Drs. 19/17548 vom 4. März 2020) vom Bundestag an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen worden. Der Antrag der Grünen (Drs. 19/7920) , nunmehr eindreiviertel Jahre alt, wurde entsprechend der Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses gegen die Stimmen der Antragsteller:in bei Enthaltung von FDP und Linken abgelehnt. Gut ein Jahr später zeigt sich ein anderes Bild. Das von dem damaligen Spitzenkandidaten der SPD Olaf Scholz angekündigte „Jahrzehnt der Frauen“ findet im Koalitionsvertrag der Ampel seinen Platz (nebenstehend). Die Forderung der Grünen vom 20. Februar 2019 nach einer feministischen Außenpolitik wird festgeschrieben, jedoch ohne diesen Begriff zu verwenden. Die Ampel zieht es vor, ihn durch den Anglizismus „Feminin Foreign Policy“ zu ersetzen. Explizit wird die Umsetzung der UN-Sicherheitsresolution 1325 festgeschrieben, nahezu identisch mit der Forderung der Grünen, dass der „zweite Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 (NAP 1325, siehe unten) überarbeitet und umgesetzt wird, um ihn für alle betroffenen Ressorts wirkungsorientierter auszurichten“. Ihre weitergehende Forderung, „für die Koordination und Evaluierung der Umsetzung von 1325 ein eigenes Referat im Auswärtigen Amt mit ordentlicher personeller und finanzieller Ausstattung“ einzurichten, findet im Koalitionsvertrag keinen Niederschlag“ (beide Zitate: Antrag der Grünen, 13. Forderung).

Für viele ein Fremdwort

Auf den Koalitionsvertrag bezog sich die grüne Außenministerin in ihrer Rede im Bundestag am 12. Januar und versprach nach dem Beispiel Kanadas und Schwedens „eine Strategie für feministische Außenpolitik“.

Annalena Baerbock am 12.02.2022 vor dem Bundestag

Nicht angesprochen wurde, ob zu dieser Strategie wie auch zu er Ampel-Zusage nach einer „ambitionierten“ Umsetzung der UN-Resolution 1325 nebenstehend auch das vor zwei Jahren von den Grünen geforderte eigene Referat gehört. Ausgeschlossen ist es dennoch nicht, denn in der Politik braucht ein Strukturwandel Zeit. Selbst in Schweden, das 2014 als erstes Land die feministische Außenpolitik etablierte, dauerte es vier Jahre, bis die Regierung ihr Handbuch zur Feministischen Außenpolitik veröffentlichte. Auf einen langen Weg der Umorientierung deutet auch Baerbocks Hinweis in ihrer Bundestagsrede, dass es „manchen hier“ schwerfalle, „den Begriff (Feministische Außenpolitik, Red.) auszusprechen“, also für viele ein unbekannter, vielleicht auch undenkbarer Begriff. Tatsächlich greift keine(r) der Redner:innen den Terminus auf, also bei vielen Parlamentarier:innen im Deutschen Bundestag noch ein Fremdwort.

Männerdomänen aufbrechen

Die Ambitionen des Koalitionsvertrages in Bezug auf feministische Außenpolitik mit ihrem Fokus auf Frauen, Mädchen und Diversität sind zurückhaltend ausgefallen. Dennoch wird mit der Stärkung von gleichen Rechten, gleichem Anspruch auf Ressourcen und gleicher politischer Repräsentanz – die drei ‚R‘ wurden 2014 von der damaligen schwedischen Außenministerin Margot Wallström, der Erfinderin der feministischen Außenpolitik, geprägt – international frauenpolitisch eine Tür aufgestoßen. Denn wenn Frauen zum Beispiel am Friedensprozess beteiligt würden, steige die Wahrscheinlichkeit, dass die Einigung mindestens 15 Jahre halte, um mindesten 35 Prozent, zitiert die Heinrich-Böll-Stiftung unwomen.org in ihrem Dossier „Feministische Außenpolitik“. Noch sieht die Realität anders aus. Nur 25 von 1500 Friedensverträgen, die zwischen 2000 und 2016 geschlossen wurden, erwähnten Frauen. „Weniger als drei Prozent der Unterzeichnenden von Friedensverträgen und weniger als zehn Prozent der Verhandlungsführenden sind Frauen“, erklärte Anja Papenfuß von der Friedrich-Ebert-Stiftung schon 2020. Ein Indiz, dass die Tür noch nicht weit genug geöffnet ist, um etablierte patriarchalische Strukturen aufzubrechen. Vorerst bleiben der Außenministerin vier Jahre, um feministische Außenpolitik zu etablieren und männliche, noch „herrschende Machtstrukturen aufzubrechen und Sicherheit nicht mehr militärisch, sondern menschlich zu denken“ (Heinrich Böll-Stiftung).

Dass Außenpolitik eher als Männerdomäne buchstabiert wird, räumte schon Baerbocks Vorgänger Heiko Maas (SPD) ein. „Es gibt wohl wenig andere Bereiche, in denen klassische Rollenbilder so tief verwurzelt sind wie in der Außen- und Sicherheitspolitik, wo das Berufsbild lange sehr männlich konnotiert war.“, erklärte er am 22. November 2021 bei der Einweihung der Portrait- und Spiegelgalerie im Auswärtigem Amt. Auch wenn er als Außenminister nie das Wort „feministische Außenpolitik“ in den Mund genommen hat, hat er dennoch etwas für die Stärkung von Frauen getan. Immerhin hat Maas den frauenpolitischen Aspekt in sein Haus eingebracht und damit ein Fundament für die feministische Außenpolitik geschaffen. Im Zusammenhang mit der UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (siehe nachstehend), die am 31. Oktober 2000 von der UN einstimmig verabschiedet worden war, jedoch in Deutschland wie auch in anderen Staaten nur zögerlich umgesetzt wurde, ließ Maas in seinem Hause den dritten Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution erarbeiten. Als Agenda für die Jahre 2021 bis 2024 wurde der Plan am 24. Februar 2021 durch das Bundeskabinett beschlossen. Er bildete die Arbeitsgrundlage, als Deutschland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernahm und damals der Resolution ein neues Gewicht verlieh.


Die UN-Resolution 1325

Auf seiner 4213. Sitzung am 31. Oktober 2000 behandelte der Rat den Punkt „Frauen und Frieden und Sicherheit“ und verabschiedete einstimmig die Resolution 1325 (2000). Darin heißt es unter anderem (auszugsweise): Der Sicherheitsrat, (...) 2. legt dem Generalsekretär nahe, seinen strategischen Aktionsplan für die Verbesserung der Situation der Frauen im Sekretariat (1995-2000) umzusetzen, in dem eine stärkere Mitwirkung von Frauen in Entscheidungsfunktionen bei Konfliktbeilegungs- und Friedensprozessen gefordert wird; (...) 7. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre freiwillige finanzielle, technische und logistische Unterstützung von Trainingsmaßnahmen zur Sensibilisierung in Geschlechterfragen zu verstärken, namentlich Maßnahmen der einschlägigen Fonds und Programme, unter anderem des Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für die Frau, des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und anderer zuständiger Organe; (...) 10. fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte außerdem auf, spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen, insbesondere vor Vergewaltigung und anderen Formen des sexuellen Missbrauchs und allen anderen Formen der Gewalt in Situationen bewaffneter Konflikte; (...) 15. bekundet seine Bereitschaft, dafür zu sorgen, dass bei Missionen des Sicherheitsrats die Geschlechterperspektive sowie die Rechte von Frauen berücksichtigt werden, namentlich auch durch Konsultationen mit Frauengruppen auf lokaler wie internationaler Ebene; (...).


Keine Parität in den Auslandsvertretungen

Nun ist sie erstmals in einen Koalitionsvertrag aufgenommen. Auf ihrer Basis erklärt die Bundesregierung ihre Verantwortung für den Schutz von Frauen in Krisenherden, hebt aber gleichzeitig Frauen von der Opferrolle in die der Akteurinnen, indem sie an Friedensprozessen und Konfliktlösungen beteiligt werden sollen. Das bedeutet auch, mehr Frauen in diplomatische Ämter zu holen. Während bereits 1950 das DDR-Außenministerium erstmals eine Frau – Aenne Kundermann – als Botschafterin berief, ließ das BRD-Außenministerium noch nahezu 20 Jahre vergehen, bis 1969 Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) die erste Botschafterin der Bundesrepublik – Prof.´in Dr. Ellinor von Puttkamer – berief. Süffisant war ihr Jahre zuvor von einem Vorgesetzten „ein durchaus männlicher Verstand“ bescheinigt worden. Von einer derartigen Intelligenzzuweisung sind wir heute weit entfernt, aber immer noch weit von der Parität in den Auslandsvertretungen. Laut der Broschüre „Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Außenpolitik und im Auswärtigem Amt“ aus dem Jahr 2020 wird das Auswärtige Amt inzwischen durch 26 Botschafterinnen (von insgesamt 152, AA 2021), 16 Generalkonsulinnen (von insgesamt 53, AA 2021) und zwei Konsulinnen (von insgesamt 7, AA 2021) im Ausland vertreten.

Zuständig für feministische Außenpolitik: der 39-jährige Tobias Lindner

Tobias Lindner, Staatsminister AA (Bild: Bundestag)

Verantwortlich für die feministische Außenpolitik im Auswärtigen Amt ist in dieser Legislaturperiode dennoch ein Mann – Staatsminister Dr. Tobias Lindner (B90/Die Grünen). Das muss kein Nachteil für den Einsatz für Frauenrechte sein, denn er hat sich bereits deutlich positioniert. „Lassen Sie uns gemeinsam Frauen, die für Frieden, Gleichberechtigung und eine sicherere Welt kämpfen, unterstützen“, hatte er im Januar Women’s Peace & Humanitarian Funds zugesichert. In den kommenden Jahren wird der 39-jährige Wirtschaftswissenschaftler zentrale Themen in den Blick nehmen müssen, zum Beispiel den Genderaspekt in der Entwicklungspolitik oder bei Handelsabkommen. Erfahrungsaustausch und Kooperation mit Ländern mit einer schon mehr oder weniger etablierten feministischen Außenpolitik – Schweden, Mexiko, Kanada (bis 2020 die einzigen Länder, die eine feministische Außenpolitik verfolgen), Niederlanden Frankreich, Luxemburg, Spanien und seit dem letzten Jahr auch Libyen – fällt in seinen Aufgabenbereich. Auch das Europäischen Parlament wurde 2020 von den grünen Abgeordneten Ernest Urtasun und Hannah Neumann aufgefordert, eine feministische Außenpolitik zu betreiben, die die Gleichstellung der Geschlechter als integralen Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik betrachtet.

Kooperation mit anderen Ressorts

Ein Paradigmenwechsel der Entwicklungspolitik ist dringend angesagt, wie der DAC-Prüfbericht über die Entwicklungszusammenarbeit: Deutschland 2021 belegt. „Von Vorteil wären auch eine klare Vision und stärkere Anstrengungen, um Geschlechtergleichstellung zu fördern“, heißt es in der Kurzfassung. Ein notwendiger Schritt! Denn „aktuell liegen Deutschlands offizielle Entwicklungsausgaben für Projekte mit Genderschwerpunkt sehr weit hinten, auf Platz 15 aller Geberländer“, rückte Kristina Lunz kürzlich in einem Tagesspiegel- Essay ins Blickfeld. Um schließlich strukturelle geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu überwinden, muss Feministische Außenpolitik mit anderen Ministerien – hier dem für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zusammenwirken. Der Etat muss anders – mit dem Fokus auf Gleichstellung und gebunden an entsprechende Kriterien – anders verteilen.

Dass die Umsetzung von weltpolitischen Zielen nur auf der Basis von der Vernetzung der einzelnen Ressorts gelingen kann, thematisierte Annalena Baerbock schon in ihrer Antrittsrede. Zu einer modernen Außenpolitik gehöre, „dass wir das Auswärtigen Amt als Plattform für das Außenhandeln der Bundesrepublik Deutschland begreifen, die Aspekte der Wirtschaft, des Verkehrs, der Umwelt und der Arbeitswelt mit in den Blick nimmt – und vor allem Dingen auch die unterschiedlichen Dimensionen der Kultur, die in diesem Haus ja nicht ohne Grund die tragende 3. Säule bilden“.

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