SCHIEDSGERICHTSBARKEIT NS-RAUBKUNST : SPD erwartet Paradigmenwechsel erst von richtigem Rückgabegesetz

12. Mai 2025 // Ulrike Günther

Hunderttausende von den Nazis geraubte Kunstwerke, ein Bruchteil an NS-Verfolgte restituiert: Für SPD und Grüne bedeutet die Schiedsgerichtsbarkeit einen „erste(n) Reformschritt“, doch sie erkennen Defizite des Verfahrens. Echte Verbesserungen erwarten sie wie die Linken vom geplanten Restitutionsgesetz. Die neue Regierung hätte sowohl Rückgaben zugunsten der Opfer als auch etwaige staatliche Entschädigungen zu regeln, um ihrer historischen Verantwortung gerecht zu werden und materielle Wiedergutmachung zu leisten.

Provenienzforschung an Büchern der Deutschen Nationalbibliothek. - Bild: DNB/ Cornelia Ranft
Provenienzforschung an Büchern der Deutschen Nationalbibliothek. - Bild: DNB/ Cornelia Ranft

zwd Berlin. Der Kulturfachmann der Linksfraktion im Bundestag David Schliesing prangert die Politik der Bundesrepublik an, die es trotz zahlreicher Bekenntnisse zum Aufarbeiten der NS-Vergangenheit bisher nicht vermocht habe, das Unrecht hinsichtlich der Kulturgüter „angemessen und umfassend wiedergutzumachen". Im Interview mit dem zwd am 09. Mai kritisierte Schliesing, bis jetzt werde "jegliche Reform der (Eigentums-) Rechtslage zugunsten der Opfer und ihrer Nachfahren“ vermieden, da das Interessen vieler privater und öffentlicher Besitzer:innen tangieren und sich die Frage einer staatlichen Entschädigungspflicht stellen würde. Der Linken-Politiker forderte, die neue Regierung müsse acht Jahrzehnte, nachdem der Faschismus besiegt wurde, "das NS-Raubkunstproblem im Sinne der Opfer lösen". Schliesing begrüßte, dass Union und SPD ein "wirksames Restitutionsgesetz" planen, wie es im Koalitionsvertrag wörtlich heißt. Er mahnt jedoch, ein solides Gesetz müsse sowohl Rückgaben von NS-Raubkunst als auch Kompensationen regeln.

Neuer BKM kündigt schnelle Benennung der Schiedsrichter/innen an

Gleich am Beginn seiner Amtszeit äußerte sich Kulturstaatsminister Dr. Wolfram Weimer (BKM, parteilos) zur Restitution von in der NS-Zeit geraubten Kunst- und Kulturgütern. Laut dpa versprach Weimer im Gespräch mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster am 06. Mai, er werde "in Abstimmung mit dem Zentralrat und der Jewish Claims Conference sehr schnell die Mitglieder der Schiedsgerichtsbarkeit benennen." Das sei ein "wichtiger Schritt“, um in Fällen von NS-Raubkunst "faire und gerechte Lösungen" zu finden. Der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Helge Lindh bewertet die vom Bund, den Ländern und Kommunen getroffene Vereinbarung, eine Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut einzurichten, als "kultur- und erinnerungspolitisch bedeutsame()“ erste Reformstufe, die grüne Kulturpolitikerin Awet Tesfaiesus als "starkes Signal an die Nachfahren der Opfer" in Richtung auf eine "gerechtere Rückgabepraxis".

SPD: Einseitige Anrufung ist Fortschritt, doch nicht überall verpflichtend

In einem Kommentar für den zwd erklärte Lindh am 02. Mai, Ziel der Regelung sei es, Restitutionsfälle von NS-Raubkunst in einem "institutionalisierten, außergerichtlichen Verfahren rechtsverbindlich klären" zu können, Verwaltungsabkommen und Schiedsordnung würden hierfür erstmals eine tragfähige Struktur schaffen. Dass es Betroffenen oder deren Nachkommen nun möglich werde, ein Rückgabe-Verfahren einseitig zu initiieren, stelle im Vergleich mit der gültigen, Konsens der beteiligten Parteien voraussetzenden Praxis einen "wesentlichen Fortschritt" dar. Dennoch erkennt der SPD-Politiker wie Grüne und Linke Schwächen an dem neuen Prozedere. Insbesondere bemängelt er, dass die Teilnahme an dem schiedsgerichtlichen Verfahren "nicht flächendeckend verpflichtend" sei: Es ließen sich dabei nur öffentliche Institutionen einbeziehen, ohne dass diese im Einzelnen ihre Zustimmung erteilen, nicht jedoch private Besitzer:innen, auf der kommunalen Ebene sei bei vielen Kultureinrichtungen ungewiss, ob sie grundsätzlich bereit sind, in eine Befassung der Schiedsgerichte einzuwilligen, was das Verfahren wiederum von der Kooperation der Eigentümer:innen-Seite abhängig mache.

Grüne appellieren an Kommunen, sich am Schiedsverfahren zu beteiligen

Grünen-Kulturpolitikerin Tesfaiesus appelliert in diesem Zusammenhang an die kommunalen Träger, möglichst lückenlos "an der Schiedsgerichtsbarkeit zu partizipieren". Sie sollten durch ihre Mitwirkung dieses "kollektiv geeinte Instrument" zur Rückgabe von NS-Raubkunst "nicht an lokalen Partikularinteressen scheitern" lassen. Linken-Politiker Schliesing argumentierte, es sei nicht einzusehen, dass die einseitige Anrufung "bei privaten Haltern von Kulturgut“, u.a. Galerien, Auktionshäuser, Stiftungen oder Unternehmen, „aber auch Privatpersonen nicht gelten“ solle. Er erachtet den Protest vonseiten der Opferverbände und Nachkommen der Beraubten für "völlig verständlich". Entgegen der offiziellen Behauptung würde die Schiedsgerichtsbarkeit aus seiner Sicht die Betroffenen nicht stärken, sondern sie einem aufwendigen, komplizierten Zivilrechtsprozess unterwerfen. Solange unsicher sei, wie das Schiedsverfahren funktionieren könne, wenn viele im Besitz von NS-Raubgut befindliche Kommunen noch nicht beigetreten sind, hätten die Entscheidungen der Kultusministerkonferenz (KMK) kaum Relevanz.

Lindh: Restitutionsgesetz ermöglicht bei Kunstraub Wiedergutmachung

Einen "echte(n) Paradigmenwechsel" erhofft sich der Sozialdemokrat Lindh erst, wenn ein "eigenständiges Restitutionsgesetz" an die Stelle der Verwaltungsvereinbarung tritt, nur so könne man "verlässliche Zuständigkeiten, einklagbare und vollstreckbare Rechte" sowie eine "dauerhafte (…) Basis für eine gerechte materielle Wiedergutmachung" schaffen. Tesfaiesus wertet die Schiedsgerichtsbarkeit als Grundlage eines Rückgabegesetzes, das "echte inhaltliche Verbesserungen für Betroffene bringen" müsse. Wie Anhörungen im Bundestag gezeigt hätten, würde eine Mehrheit von Fachleuten eine Gesetzesregelung befürworten, trotz daran gebundener Eingriffe ins Zivilrecht und Herausforderungen bezüglich etwaiger staatlicher, für Enteignungen zu zahlender Entschädigungen.

Der Linken-Abgeordnete Schliesing bezweifelt, ob eine von der Union geführte Bundesregierung, mit dem neuen BKM Weimer, den Ansprüchen an ein seriöses Restitutionsgesetz gerecht werden könne, da die mangelhaften Beschlüsse von Bund, Ländern und Kommunen zur Schiedsgerichtsbarkeit in erster Linie durch die Einflussnahme mehrheitlich von CDU bzw. CSU regierter Bundesländer entstanden seien. Außer gestärkten Auskunftsrechten für Betroffene und der einseitigen Anrufbarkeit sollte ein solches Gesetz nach Schliesings Auffassung die Hauptprobleme beseitigen, d.h. Verjährung, Ersitzung und sog. gutgläubiger Erwerb dürften bei NS-Kunstraub keine Gültigkeit haben. Im Koalitionsvertrag bekennen sich die Regierungsparteien zur "besondere(n) Verantwortung" bei Rückgaben von NS-Raubgut. Dafür haben sie sich neben der Schiedsgerichtsbarkeit und dem Restitutionsgesetz auch intensivierte Provenienzforschung aufs Programm geschrieben.

Linke fordern Überarbeitung des Bewertungsrahmens

Als positiv hob SPD-Politiker Lindh den "normativen Bewertungsrahmen" hervor, der die bis jetzt für den Umgang mit NS-Raubgut prägende Einzelfallpraxis durch eindeutige, nachvollziehbare Kriterien ablöse. Die erleichterten Beweisführungen, die z.B. eidesstattliche Versicherungen anerkennen und den Umfang zu erbringender Belege reduzieren, wirken sich seiner Ansicht nach günstig auf die Interessen der Opfer aus und sorgen für mehr Rechtssicherheit. Tesfaiesus betonte, dass der Bewertungsmaßstab für den Anfang der Kollektivverfolgung den Stichtag des 30. Januar 1933 setzt, stütze die Position der Anspruchsberechtigten. Ein Kritikpunkt von SPD, Grünen und Linken betrifft aber das Problem, ob für bestimmte Opfergruppen im neuen Verfahren tatsächlich der angestrebte rechtliche Schutz garantiert ist. Zwar beziehe sich die Verwaltungsvereinbarung, wie Lindh bemerkt, prinzipiell auf alle vom NS-Kunstraub betroffenen Personengruppen, denen im Kontext der NS-Verfolgung Kulturgüter entzogen wurden, unabhängig davon, ob das aus religiösen, politischen oder weltanschaulichen Gründen geschah.

Vor allem bei sog "Fluchtgut", d.h. wenn Menschen auf der Flucht vor den Nazis Kunstwerke verkaufen mussten, bleibe unklar, wie weitreichend sie nach den neuen Regelungen ihre Rückgabeansprüche in dem festgelegten Rahmen geltend machen können. Fachleute würden vor Ausschlussmechanismen warnen, z.B. indem zu enge Kriterien für die Dauer der Flucht oder die Kollektivverfolgung herangezogen werden. Tesfaiesus unterstreicht, das Verfahren müsse "kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt" werden. Im Verwaltungsabkommen ist eine Evaluation nach Ablauf von drei Jahren bzw. nach zehn Entscheidungen vorgesehen. Schliesing beanstandet, der Beurteilungskatalog enthalte einige zweifelhafte Formulierungen und werde für die Opfer "eher eine Verschlechterung" mit sich bringen. Er dringt darauf, die Richtlinien zu überarbeiten, und verlangt eine öffentliche Diskussion.

Kommunale Bundesvereinigung empfiehlt Beitritt zum Verfahren

Auf dem 22. kulturpolitischen Spitzengespräch am 26. März stellte die geschäftsführende Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) anlässlich der Unterzeichnung des Verwaltungsabkommens heraus, damit seien "die nächsten Schritte der Reform noch in diesem Jahr" eingeleitet. Der Präsident des Deutschen Städtetages Markus Lewe versicherte, die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände habe ihren "Mitgliedern empfohlen, diesem Verfahren nun beizutreten". Im Folgenden werden nach Angaben der KMK außer der Auswahl der Schiedsrichter:innen der "administrative Übergang" und ein Evaluierungsgremium vorbereitet. Bund, Länder und Kommunalverbände würden auf Grundlage der Verwaltungsvereinbarung aktiv darauf hinwirken, dass Kulturgut bewahrende Institutionen und Kommunen zeitnah die sog. "stehenden Angebote" abgeben, mit denen sie allgemein, d.h. unabhängig vom Einzelfall, einer Anrufung des Schiedsgerichts durch Antragsberechtigte zustimmen. Das Gremium werde noch im Laufe dieses Jahres tätig werden, in der Zwischenzeit arbeite die Beratende Kommission weiter.

Die Schiedsgerichtsbarkeit soll anstelle der Beratenden Kommission als zum üblichen Rechtsverfahren alternativer Mechanismus Streitigkeiten zu noch offenen Kunstraubfällen im Sinne der Washingtoner Prinzipien von 1998 gütlich beilegen und Antragsberechtigte quasi einseitig, d.h. ohne vorherige Zustimmung der derzeitigen Besitzer:innen, das Gremium einschalten können. Die nicht-staatlichen Gerichte sind paritätisch mit fünf Schiedsrichter:innen, darunter drei einschlägig qualifizierten Jurist:innen und zwei Expert:innen der Geschichte des Nationalsozialismus oder Forschung zur Provenienz von NS-Raubgütern, zu besetzen und entscheiden rechtsverbindlich anhand eines verpflichtenden Bewertungsrahmens. Rechtsträger der Schiedsstelle ist das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste (DZK).

Bundesregierung: Verbesserte Repräsentanz von Betroffenen

Die rot-grün-gelbe Bundesregierung präzisierte in einer Antwort (Drs. 20/15011) auf eine Anfrage der Linken zu Restitutionen von NS-Raubkunst (Drs.2ß/14854) im Februar, die kommunalen Spitzenverbände seien "neben Bund und Ländern Partei dieses Verwaltungsabkommens", wodurch die "Voraussetzungen für die Beteiligung der Kommunen geschaffen" seien. Mit der Frage konfrontiert, ob das Schiedsverfahren, wie von Kritiker:innen befürchtet, die Situation der Betroffenen verschlechtere, bekräftigte die Regierung, die "Ausgangslage der Opfer bzw. deren Nachfahren" werde im Vergleich mit "der bisherigen Entscheidungsgrundlage in der Handreichung (für Umgang mit NS-Raubkunst, Neufassung 2019, Anm. d. Red.) verbessert". Dadurch dass man den Zentralrat der Juden und die Jewish Claims Conference für Entschädigungsansprüche jüdischer NS-Verfolgter beim Übereinkommen zur Reform der Beratenden Kommission und am weiteren Verfahren beteiligt habe, sei eine erhöhte „Repräsentanz der Opferseite“ gewährleistet.

Die Regierung weist den Vorwurf der Linken zurück, der Bewertungsrahmen würde bestimmte Betroffenengruppen, wie Kunsthändler:innen oder Emigrant:innen, um den Rückerhalt der unter Zwang veräußerten Kunstwerke bringen. Die Systematik greife z.B. ausdrücklich "auch sogenannte Fluchtgutfälle auf" und stelle diese auf eine eindeutige Regelungsgrundlage. Der Antwort der Bundesregierung zufolge wird die Schiedsgerichtsbarkeit bis 31. Dezember vom Bund, danach zur Hälfte durch Bund und Länder finanziert. Hintergrund der Anfrage bildeten der Kabinettsbeschluss vom 08. Januar und die Verständigung von BKM, Ländern und Kommunen im März 2024 zur Schiedsgerichtsbarkeit, welche die Verfasser:innen wie zahlreiche andere Kritiker:innen mit der im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP anvisierten Stärkung der Beratenden Kommission im Widerspruch sehen.

Fachleute protestieren: Opfergruppen von Rückgaben ausgeklammert

In einem am 07. Januar an den noch amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz gerichteten offenen Brief zur Restitution von in der NS-Zeit geraubten Kulturgütern protestierten ca. 100 Jurist:innen, Historiker:innen und Nachfahren ehemaliger Eigentümer:innen unter Berufung auf das Washingtoner Abkommen und die Best Practices von 2024 gegen das Vorhaben der Regierung, vor der Bundestagswahl über die Einrichtung von Schiedsgerichten zu entscheiden. Die Unterzeichner:innen kritisieren, das geplante Schiedsverfahren "verschlechtere die Situation der Opfer eklatant". Sie beklagen, dass "ganze Opfergruppen, wie verfolgte Kunsthändlerinnen und Kunsthändler" durch die Rückgaberegeln ihre aufgrund der NS-Verfolgung "veräußerten Kunstwerke nicht mehr zurückerhalten" könnten. Auch Verfolgte, die Kulturgüter auf der Flucht verkaufen mussten, hätten "künftig nur noch einen sehr eingeschränkten Anspruch auf Restitution". Außerdem beanstanden sie, dass keine öffentliche Debatte stattgefunden habe. Die Schreiber:innen beurteilen die Behauptung, die Schiedsgerichtsbarkeit werde Betroffene von NS-Kunstraub stärken, als nicht wahrheitsgemäß, ebenso dass "sämtliche Länder und Kommunen (...) einer Anrufung (...) zustimmen" würden. Mehr als 10.000 Kommunen hätten sich bislang nicht zur Teilnahme am Verfahren bekannt. Sie rufen die Regierung auf, eine Anhörung von Sachverständigen im parlamentarischen Rechtsausschuss durchzuführen, intensiven Austausch zwischen Politiker:innen, Betroffenen und Forscher:innen zu initiieren und die Weiterarbeit der Beratenden Kommission NS-Raubgut sicherzustellen.

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