zwd Berlin. Goldglänzender Schmuck, kunstvoll geschnitzte Skulpturen, formschön gestaltete Gefäße – Bilder von in der Kolonialzeit geraubten, in SPK-Depots verwahrten Kulturgütern aus der Region Mt. Kilimanjaro/ Mt. Meru sind derzeit in Collagen auf historischen Fotos, modernen Zeichnungen tansanischer Künstler:innen und einem Dokumentations-Album in der „Marejesho“-Ausstellung (Swahili für Restitution) im Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität (bis Juni 2024) zu sehen. „Wir brauchen die (kolonialen) Kulturobjekte, und zwar alle, in unseren Communities“, erklärte Mnyaka Sururu Mboro, Mitgründer und Vorstandsmitglied von Berlin Postkolonial, einer Nicht-Regierungs-Organisation (NRO),für koloniale Aufarbeitung, und Mitinitiator des Marejesho-Projektes, im Interview mit dem zwd. Das Wichtigste seien „sakrale, spirituelle Objekte“, welche für religiöse Rituale unerlässlich seien. Rund 10.200 Artefakte aus Tansania befinden sich gemäß Selbstauskunft der SPK allein im Archiv des Ethnologischen Museums Berlin, nach Informationen des Stuttgarter Linden-Museums ca. 5.600 Kulturgüter in dessen Depots, weitere Objekte nach Angaben des ebenfalls zum Marejesho-Team gehörenden Flinn Works-Vereins u.a. in den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen (ca. 3.800) und im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln (ca. 1.000).
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (BKM, Die Grünen) hob laut einer Sprecherin hervor, „dass alle Menschen ein Recht haben, ihrem Kulturerbe dort zu begegnen, wo es entstanden ist – in ihrer Heimat“. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, sollten „im partnerschaftlichen Dialog mit den Herkunftsgesellschaften (…) ressortübergreifend die internationale Zusammenarbeit gestärkt und Objekte aus kolonialen Kontexten zurückgegeben werden“. Nach der aufsehenerregenden Restitution der ersten 22 der berühmten Benin-Bronzen im Juli/ Dezember 2022 an Nigeria (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete in Heft 385, 383) seien „weitere Rückgaben (…) in Vorbereitung“, bestätigte die BKM-Sprecherin. Im Hinblick auf Tansania sagte sie, das Land habe erst angefangen, sich mit der Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen. Daher müsse man „Tansania genügend Zeit" einräumen, „um eine Haltung zum Umgang mit dem Thema zu entwickeln“, und der Regierung „die Handlungsinitiative (…) überlassen“.
Berlin Postkolonial: Kulturgüter für Tradierung der Geschichte wichtig
Anti-Kolonialismus-Aktivist Mboro betonte, die gestohlenen Kulturgüter hätten „mit der Geschichte unserer Kommunen und der Geschichte Tansanias zu tun“. Diese ohne die historisch wertvollen Objekte zu tradieren, sei „wie ein Baum ohne Wurzeln“. Das geraubte Sammlungsgut wieder zu besitzen, bezeichnete der gebürtige Tansanier, der sich schon viele Jahre für Restitution und koloniale Aufarbeitung engagiert, als „unser Recht, unsere eigene Sache“. Die geschichtsbezogene Marejesho-Präsentation, die im Sommer 2022 als Wanderausstellung durch mehrere Gemeinden der Kilimanjaro-/ Meru-Region reiste und bei der ansässigen Bevölkerung auf großes Interesse stieß, hat einen gewaltvollen, tragischen Hintergrund. Die an den Wänden gezeigten Kunst- und Alltagsobjekte sind überwiegend persönliche Besitztümer von Widerstandskämpfern gegen die deutsche Fremdherrschaft, insgesamt 19 Oberhäuptern lokaler Gemeinden (Mangi) und ihrer Minister (Akida), welche die Kolonialregierung im Jahr 1900 öffentlich hinrichten ließ.
Wie eine Reihe zivilgesellschaftlicher Verbände - u.a. anlässlich der Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am 01. November in die südtansanische, als Zentrum des Maji-Maji-Widerstandes (1905 – 1907) bekannte Stadt Songea, bei der dieser die Gemeinde für das unter deutscher Kolonialherrschaft erlittene Unrecht in aller Form um Verzeihung bat - tritt Berlin Postkolonial-Vertreter Mboro außer für Rückgaben für Entschädigungen durch die Bundesrepublik ein: „Aber wir fordern auch Reparationen für die (durch den Kolonialismus) gestörten Communities und die Region“.
SPK plant Restitution von Objekten aus dem Maji-Maji-Krieg
Die SPK bereitet in Kooperation mit dem Nationalmuseum Tansania – auf der Grundlage einer Stiftungsrats-Entscheidung vom Sommer 2022 - unterdessen erste Restitutionen von Kulturobjekten vor. Nach Aussagen des Referenten der SPK Stefan Müchler hat das aus tansanischen und deutschen Mitarbeiter:innen gebildete Kuratorium der für 2024 im Berliner Schloss geplanten Sonderausstellung „Geschichten Tansanias“ eine Liste mit 41, unter deutscher Kolonialherrschaft als Kriegsbeute geraubten Kulturgütern erarbeitet, welche die SPK nach der Präsentation in Berlin und Dar es Salaam zurückgeben möchte. Bei diesen Stücken habe, wie Müchler ausführte, “immer Einigkeit bestand(en)“, dass diese „nicht dauerhaft in Deutschland verbleiben“ sollten, da die Kolonialbesatzer:innen sich diese „in einem extremen Gewaltkontext“, während der verlustreichen Maji-Maji-Kämpfe und anderer kriegerischer Konflikte, angeeignet hätten. Im Laufe der Zusammenarbeit mit dem tansanischen Nationalmuseum würden die Fachleute noch mehr von den Kolonialist:innen bei „Kriegs- und Raubzügen gewaltvoll und ohne Einverständnis der Vorbesitzer:innen (…) oder Nutzer:innen“ an sich genommene Objekte ermittelt und möglicherweise restituiert. Eine von Tansanias Regierung eingesetzte Kommission werde die Restitutionsverhandlungen auf ihrer Seite koordinieren. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort (Drs. 20/ 6943) auf eine Anfrage der Linksfraktion (Drs. 20/ 6551) vom Mai mitteilte, beschäftigt sich das Sonderkomitee mit Rückführung von Kulturgütern, Naturobjekten und Human Remains.
Nähere Details zu den anvisierten Objektpräsentationen im Humboldt-Forum verriet der SPK-Referent jedoch noch nicht. Da man in dem Projekt, das Dialoge zu möglichen Rückgaben beim „Humboldt Lab Tanzania“ (2018) und weiteren, gemeinsam mit dem Nationalmuseum Tansania durchgeführten Forschungsunternehmen fortsetzt, gerade intensive Gespräche mit Vertreter:innen von Herkunftsgesellschaften über ausgesuchte Objekte führe und sich das Kuratorium verpflichtet habe, originale Kulturgüter nur mit deren „erteilte(m) informierte(m) Einverständnis“ auszustellen, könne man vor Ablauf des internen, geschützten Zeitraumes „keine validen Aussagen“ über die konkreten Objekte und ihre Rückführung machen, so Müchler. Auf den Reisen des Projektteams zu lokalen tansanischen Gemeinden hätten deren nach ihrer eigenen Position befragte Mitglieder vielfach „Wünsche nach Restitution geäußert“. Der Maji-Maji-Krieg war der größte ostafrikanische Aufstand gegen den Kolonialismus, der von den Deutschen brutal niedergeschlagen wurde und durch Kämpfe, die von den Besatzern angewandte „Strategie der verbrannten Erde“ und daraus resultierende Hungersnöte bis zu 300.000 Opfer forderte.
SPD tritt für eindeutige Regularien und feste Abläufe ein
Nach Ansicht von Berlin Postkolonial-Vertreter Mboro sollte man die Herkunftsgesellschaften besser informieren und bei der Diskussion um die Rückgabe verstärkt einbeziehen. "Man sollte die Leute in den Kommunen mehr beteiligen", da sie häufig vom Verbleib der Kulturgüter keine Kenntnis hätten. Überdies moniert der Vereinsgründer, dass es in der Bundesrepublik, obwohl in vielen Museen, Universitäten, Kliniken und Privathäusern Sammlungsgüter aus Tansania liegen, „bis jetzt noch kein Gesetz gibt, damit die Museen die Provenienz erforschen und die Objekte zurückgeben“. In dieser Richtung argumentieren auch SPD und Linke sowie der UN-Ausschuss zur Beseitigung von rassistischer Diskriminierung (CERD). Der Sprecher für Kulturpolitik der SPD-Bundestagsfraktion Helge Lindh, der in Fragen der Rückgabe von kolonialen Sammlungsgütern für eine „neue Qualität der Partnerschaft und des Austausches mit den Herkunftsgesellschaften“ wirbt, machte sich im Kommentar für den zwd für genau umrissene „Regularien für die konkrete Durchführung: Finanzierung der Restitution oder Repatriierung“ sowie „feste, standardisierte, verlässliche Prozeduren und Abläufe“ stark.
Demgegenüber forderte der kulturpolitische Sprecher der Linksfraktion Jan Korte gezielt, Rückgaben von Kulturobjekten zu verrechtlichen. Da sie eine „Konsequenz von (in der Kolonialzeit begangenen) Verbrechen“ darstellten, brauche man ein “umfassendes Restitutionsgesetz mit verbindlichen Regeln für Museen und auch private Sammler“. Dass sich das UN-CERD-Komitee der „(rechtlichen) Aufarbeitung des Kolonialismus“ angenommen hat, nannte die juristische Beraterin des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) Sarah Imani etwas „sehr Besonderes“. In seinen neu veröffentlichten „Concluding Observations“ zum 23. – 26. Staatenbericht empfiehlt CERD, dem u.a. die alternativen Stellungnahmen von Decolonize Berlin, Berlin Postkolonial und ECCHR vorlagen, der Bundesrepublik, eine „umfassende Strategie zur Restitution und Reparation von kolonialen Objekten und kulturellen Artefakten zu erlassen", vor allem auch von Human Remains.
Linke fordert Beweislastumkehr zugunsten betroffener Gemeinden
SPD-Kultur-Berichterstatter Lindh setzt sich angesichts der von Machtungleichheit und Unterdrückung geprägten Kolonialherrschaft dafür ein, die Bürde des Nachweises über die Herkunft von Kulturobjekten dürfe „nicht vordergründig bei den Anspruchsstellerinnen und -stellern liegen“. Linken-Politiker Korte geht noch einen Schritt weiter und optiert im Sinne einer Beweislastumkehr dafür, „gutgläubiger Erwerb“ von Sammlungsgütern müsse bei Fehlen lückenloser, zweifelsfreier Belege „grundsätzlich ausgeschlossen werden“, Darüber hinaus schlägt Korte vor, eine „unabhängige Bundesstiftung“ mit einem paritätisch von internationalen Fachleuten und Nachfahr:innen der Kolonisierten besetzten Stiftungsrat als wirksames Mittel der Aufarbeitung ebenso zu schaffen wie ein eigenständiges Forschungsinstitut und eine „unabhängige Kommission“, die, vergleichbar mit der „Beratenden Kommission“ bei Raubgut aus der NS-Zeit, in Streitfragen und Verdachtsfällen der Mediation dient. Vor allem das Rückgabe-Gesetz und die vorgeschlagene Stiftung sollten, wie der Linken-Sprecher gegenüber dem zwd unterstrich, „so schnell wie möglich auf den Weg gebracht werden“. Darin sähe Korte einen „wichtige(n) deutsche(n) Beitrag für die noch bis 2024 dauernde UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft“.
In ihrer Antwort an die Linken verwies die Koalitionsregierung hinsichtlich der Frage nach Plänen zum Einrichten eines beratenden Gremiums (Advisory Board) auf die 2020 gegründete Kontaktstelle für koloniales Sammlungsgut als eine „erste Anlaufstelle“ für Personen oder Institutionen aus Herkunftsgesellschaften. Außerdem befasse sich das von einem internationalen Kuratorium beratene Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg mit der Thematik. Daher sei vorerst das Einsetzen weiterer Beiräte oder Ausschüsse nicht vorgesehen. Die Arbeitsweise der Kontaktstelle bewertet Anti-Kolonialismus-Fachmann Mboro gleichwohl skeptisch. Auf eine 2021 von ihm als Vertreter der Kommune gesendete Anfrage, wie viel Sammlungsgut aus der Region Kilimanjaro es in deutschen Museen gebe, erhielt er in erster Linie ernüchternde, unvollständige Auskünfte: Einrichtungen (Leipzig/ Dresden, Göttingen), in denen laut Berlin Postkolonial definitiv Human Remains aus dem Kilimanjaro-Gebiet aufbewahrt sind, wurden von der bundesweiten Suche nicht erfasst.
ECCHR kritisiert Rückgabe-Praxis bei Human Remains
Einen zentralen Stellenwert für tansanische Kommunen und zivilgesellschaftliche Vereine nimmt die Repatriierung von in der Kolonialzeit entführten Human Remains ein. Zahllose Schädel und menschliche Gebeine (vgl. Gutachten Decolonzie Berlin, 2022), die für rassistisch-anthropologische Forschungszwecke widerrechtlich nach Deutschland verbracht wurden, lagern weiterhin in Museen und Sammlungen (zwd-POLITIKMAGAZIN berichtete in Heft 372). Seit Jahrzehnten versuchen lokale Gemeinden und Nachfahr:innen, die menschlichen Überreste ihrer Ahn:innen zurückzuerlangen. Viele von ihnen stammen von Widerstandskämpfern, die mutig gegen die deutschen Besatzer:innen aufbegehrten und auf deren Anordnung hin umgebracht wurden, und von anderen Opfern der Kolonialherrschaft. Das gilt für die Anführer der Maji-Maji-Bewegung ebenso wie für Oberhäupter lokaler Volksgruppen, die sich - wie in der Kilimanjaro/ Meru-Region - dem rohen Kolonialregime widersetzten. In diesem Zusammenhang versicherte Kulturstaatsministerin Roth ihrer Sprecherin zufolge, dass Human Remains „nicht in unsere Museen und Sammlungen“ gehörten und dass es Teil der kolonialen Aufarbeitung sei, „einen angemessenen Umgang damit zu finden und Maßnahmen zur Rückführung in die Herkunftsländer zu entwickeln“. SPK-Referent Müchler erläuterte dazu, es sei das eindeutige Ziel des Erforschens der Provenienz menschlicher Gebeine, diese an die betreffenden Herkunftsländer zu restituieren. Wie BKM- und SPK-Sprecher:innen einstimmig bekräftigten, sei man „zur sofortigen Rückgabe bereit“ und habe das schon 2020 gegenüber der tansanischen Regierung bekundet. Nun warte man „auf Signale aus den Herkunftsländern“.
Die Koalitionsregierung ließ entsprechend verlauten, Verhandlungsangebote der Bundesrepublik zur Rückgabe von Kulturobjekten bzw. Repatriierung von menschlichen Überresten lägen bereits vor, man befürworte „einen diesbezüglichen Dialog“ mit der tansanischen Seite. Dagegen wendet Berlin Postkolonial-Aktivist Mboro ein, dass es zwar noch "keine offizielle Forderung von der tansanischen Regierung", andererseits "auch kein Angebot von der Bundesregierung" gebe. Das ECCHR bemängelt seinerseits den bundesdeutschen Umgang mit der von Zivilgesellschaft und Nachfahr:innen geforderten Rückführung menschlicher Gebeine an die Herkunftsgemeinden. ECCHR-Beraterin Imani kritisierte, bisher genüge die Praxis „menschenrechtlichen Standards nicht“. Es bestehe „dringender Handlungsbedarf", sowohl im praktischen als auch im forschungsbezogenen wie legislativen Bereich. Durch vom Marejesho-Projekt initiierte DNA-Analysen konnte die Provenienzforschung der SPK im September 2023 genetische Übereinstimmungen zwischen Abkömmlingen eines Clan-Chefs, dessen Bruder und dem Minister eines weiteren Gemeinde-Oberhaupts mit in den Depots des Museums für Vor- und Frühgeschichte aufbewahrten Schädeln ermitteln. Bereits 2022 war es durch den Verein Flinn Works Production auf diese Art gelungen, die Überreste eines anderen Gemeindevorstehers aus Meru im Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in New York zu identifizieren. Eine Rückgabe der Gebeine fand bislang in keinem der Fälle statt.