"Fragen nur bewertet, aber nicht beantwortet"
„Sie haben meine Fragen bewertet, aber nicht beantwortet“, warf der bildungspolitische Sprecher Unionsfraktion Thomas Jarzombek der Bundesministerin in der Ausschusssitzung vor: „So kann eine Befragung ganz sicherlich nicht stattfinden.“ Auf seine Frage, wie es genau zu den verschieden Aktivitäten im Bundesministerium für Bildung undf Forschung (BMBF) gekommen und wie die hausinterne Kommunikation dazu abgelaufen war, verweigerte die Ressortchefin auf der von der CDU beantragten Ausschuss-Sondersitzung jede Auskunft. Sie kommentiere private Kommunikation nicht, erklärte Stark-Watzinger zu Frage hinsichtlich der Wire-Kommunikation. Offen blieb, in welchem Umfang der Wire-Messingerdienst für dienstliche Angelegenheiten genutzt worden ist und Eingang in die Aktenführung des Ministeriums gefunden hat. Darüber hatte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" detailliert berichtet.
Konkret geht es um den Umgang des Ministeriums mit einem offenen Brief, in welchem Hochschullehrende aus Berlin ihre Unterstützung propalästinensischer Proteste unter Hinweis auf die Meinungsfreiheit erklärt hatten. Unter anderem war Innerhalb des BMBF auf Anweisung des Abteilungsleiters IV eine Liste dieser Lehrkräfte erstellt worden. Im Hinblick auif die Liste ging es um die Fragestellung, inwieweit die von den Hochschulangehörigen verfasste Erklärung als grundgesetzwidrig einzuordnen sei. Diese Prüfung hierzu ist nach den Worten von Stark-Watzinger mit ihrem Einverständnis erfolgt. Die Fachebene hatte daraufhin festgestellt, dass die Erklärung durch die verfassungsrechtlich geschätzte Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG gedeckt sei. Die erstellte Liste sei im Fachreferat verblieben, beteuerte die MInisterin vor dem Ausschuss in Wiederholung früherer Erklärungen. Unaufgeklärt blieb, welche Rolle der zuständige Abteilungsleiter letztlich gespielt hat. Weniger im Zentrum der Ausschussbefragung stand der Prüfauftrag, ob diesen Lehrkräften Fördergelder gestrichen werden könnten. Nach Stark-Watzingers Aussagen hat es sich hierbei um einen missverstandenen Auftrag der daraufhin von ihr entlassenen Staatssekretärin Prof.in Sabine Döring gehandelt.
Die große Streitfrage bleibt, wie genau mit diesem Auftrag umgegangen worden war. Die geschasste Staatssekretärin Sabine Döring durfte sich gemäß dem von Stark-Watzinger eingeforderten beamtenrechtlich begründeten Verschwiegenheitsgebot nicht äußern. Sie saß während der Sondersitzung am 10. September als Zuhörerin auf der Tribüne. Gleichwohl kam eine Äußerung, die Doring am Morgen des Tages gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio abgegeben hatte, im Ausschuss zur Sprache.
„Weitere Widersprüche, die dann beamtenrechtlich möglicherweise Konsequenzen für sie haben, das dient ja nicht ihrem Schutz", gab Schröder zu bedenken.
SPD und Grüne wollten Thema eigentlich mit der umfassenden Beantwortung ihrer Fragen abhaken
Angesichts des desaströsen Bildes und des Misstrauens gegenüber dem BMBF zum Umgang mit der „Wissenschaftsfreiheit“ verlangte die Bildungssprecherin der Grünen-Fraktion Prof.in Anja Reinalter von Stark-Watzinger, dass „Sie uns Ihr Wort geben, und garantieren, dass in Bezug auf die Fördermittelaffäre nichts Weiteres veranlasst wurde, was Zweifel am Umgang mit der Wissenschaftsfreiheit im BMBF aufkommen lassen könnte.“ MIt dem Versprechen, das Stark-Watzinger abgab, sehen die Grünen als Koalitionspartner die Möglichkeit, "wieder nach vorne zu schauen".
Auch der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek (SPD) wünschte sich im Hinblick auf die Beantwortung der von ihm gestellten Fragen, den Blick ebenfalls schnellstmöglich wieder in die Zukunft zu richten, da einiges noch auf der Agenda stünde. Gegenüber Stark-Watzinger hakte er nach: Welche Vorkehrungen das BMBF treffe, um „Wiederholungen dieser Art zu vermeiden?“
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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte nach der Ausschusssitzung die Abgeordneten des Bundestages auf, dem "unwürdigen Schmierentheater ein Ende zu setzen." Sie verlangt vom Bundestag einen schleunigen Untersuchungsausschuss. „Dieser Schritt ist notwendig, um weiteren Schaden vom deutschen Wissenschaftssystem abzuwenden“, betonte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller. Ob ein Forschungsprojekt gefördert wird, dürfe nicht von politischen Meinungsäußerungen der Forscherinnen und Forscher abhängig gemacht werden. "Die Ministerin hält Akten unter Verschluss und hat der im Zuge der
Affäre entlassenen Staatssekretärin Sabine Döring (FDP) einen Maulkorb
verordnet", wertete Keller die Ausschusssitzung am 10. September.
Die Union plant trotz ihrer schweren Vorwürfe keinen Untersuchungsausschuss. Man könne sich die „Ressourcen am Ende sparen“, äußerte Jarzombek gegenüber der Süddeutschen Zeitung nach der Sitzung: „Wenn die Dinge, um die es hier geht, mündlich passiert und nicht in Akten verschriftlicht sind, würden wir auch in einem Untersuchungsausschuss nicht schlauer werden.“ Der Bildungsjournalist und Blogger Jan-Martin Wiarda resümierte, dass die Union unter anderem mit der anlaufenden Migrationsdebatte einfach größere Prioritäten habe. Wiardas Einschätzung: „Weiteres Spekulieren, Implizieren und hartnäckiges Nachfragen unter den jetzigen Bedingungen verursachen nur immer weiteren Schaden am demokratischen Prozess und der Debatte über Wissenschaftsfreiheit. Doch kann die Antwort nicht sein, das Fragen zu lassen, sondern die Bedingungen zu ändern.“
Gerichtliche Verfahren laufen weiter
Wegen der Veröffentlichung der angeblich privaten Wire-Chatverläufe hat das Transparenzportal „FragDenStaat“ nachgefragt und gerichtlich Klage auf Herausgabe eingefordert. Das Gerichtsurteil hierzu steht aus. Auch die Klage von Prof.in Döring auf Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht, die beim vom Verwaltungsgericht Minden im einstweilen Anordnungsverfahren abgewiesen worden war, wird dem Vernehmen im Hauptsache-Verfahren weitergeführt. Das könnte der Affäre auch im Parlament neuen Schwung geben. Solange die Fragen von der Ministerin noch wirklich umfassend aufgeklärt sind, bleibt sowohl in der wissenschaftlichen Community als auch in der Öffentlichkeit das Vertrauen in Stark-Watzinger und das von ihr geleitete Bildungsministerium weiterhin beschädigt.
Siehe auch auch die ausführliche Bericherstattung über die BMBF-Fördermittelaffäre im zwd-POLITIKMAGAZIN Ausgabe 402:
Die Titelgeschichte im zwd-POLITIKMAGAZIN 402 (Print) fragt, wie lange
sich Bundesbildungsministerin Bettina Start-Watzinger (FDP) noch im Amt
halten kann.