Das Bundesverwaltungsgericht hatte bereits im Mai 2021 - vor dem Hintergrund eines von Schaller vertretenen Klageverfahrens - Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der BAföG-Bedarfssätze für Studierende angemeldet und das Bundesverfassungsgericht angerufen. Wenn die Bundesregierung sich nicht „eine Klatsche aus Karlsruhe" einhandeln wolle, sollte sie nach Auffassung von fzs und GEW dem zuvorkommen und eine grundlegende Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Die beiden Organisationen hatten die Stellungnahme gemeinsam mit Anwalt Schaller gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abgegeben.
fzs und GEW: „BAföG reformieren und inflationsfest machen“
Zur Begründung verwiesen fzs-Vorständin Rahel Schüssler und der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, in der Online-Pressekonferenz auf den Tatbestand, dass Inflation und Mietpreissteigerungen mittlerweile die Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe getrieben haben. Rechtsanwalt Schaller stellte dazu fest: „Der BAföG-Bedarfssatz beträgt für Studierende 452 Euro zuzüglich einer Wohnpauschale von 360 Euro, wenn diese nicht bei den Eltern wohnen. Diese insgesamt 812 Euro sind 118 Euro weniger als der Unterhaltsbedarfssatz nach der Düsseldorfer Tabelle, der 930 Euro beträgt, und 97 Euro weniger als das steuerliche Existenzminimum von 909 Euro. Die BAföG-Bedarfssätze verstoßen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und verletzen darüber hinaus die Grundrechte der Berufswahlfreiheit und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes.“ Das BAföG war zum Wintersemester 2022/23 um 5,75 Prozent erhöht worden. Hinzu kommt die Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge zum 1. Juli 2023, für die es im BAföG keine Anpassung gibt, sowie die zum 1. Januar 2024 geplante Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge.
Im Ergebnis zeigt das nach den Worten Schallers, dass der Gesetzgeber „kein transparentes und sozialstaatskonformes Verfahren“ zur regelmäßigen Anpassung der Bedarfssätze im BAföG verankert habe. „Da die BAföG-Bedarfssätze seit Inkrafttreten des Gesetzes 1971 nur sehr unregelmäßig und unvollständig angepasst worden sind, ist die Schere zwischen dem studentischen Existenzminimum und den gesetzlichen Bedarfssätzen immer größer geworden - und auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr verfassungskonform“, resümierte der Rechtsanwalt. „Seit Anfang 2023 betrug bei selbst krankenversicherten Studierenden unter 30 Jahren die Differenz zwischen dem BAföG-Bedarfssatz für Kranken- und Pflegeversicherung und den durchschnittlichen Beiträgen 1,59 Euro. Diese steigt zum 1. Juli 2023 für die meisten Studierenden auf 6,46 Euro, ohne dass im BAföG eine Anpassung erfolgt. Für kinderlose Studierende über 30 Jahre vergrößert sich die seit Anfang 2023 bestehende Lücke von 9,02 Euro zum 1. Juli 2023 auf 15,81 Euro. All das muss auch aus dem BAföG-Bedarfssatz von nur 452 Euro finanziert werden. Der Regelbedarf in der Grundsicherung (Bürgergeld) für Alleinstehende beträgt dagegen 502 Euro.“ Es gebe aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Bedarf von Studierenden niedriger liege. „Im Gegenteil: Sie müssen aus dem BAföG-Bedarfssatz nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern auch ihre Ausbildungskosten finanzieren.
GEW: „Elternunabhängiges staatliche Stiudienhonorar“ als Zielperspektive
Fzs-Vorständin Schüssler bezeichnete es als Skandal, dass der BAföG-Bedarfssatz hinter dem Existenzminimum zurückbleibe. Noch zum Beginn des Wintersemesters 2023/2024 müsse es eine BAföG-Reform geben, die die Bedarfssätze für Studierende in einem ersten Schritt auf eben dieses Existenzminimum anhebe, also auf mindestens 930 Euro zuzüglich eines kostendeckenden Zuschusses für die Pflege- und Krankenversicherung. Kernanliegen beider Organisationen ist die Verankerung eines transparenten Verfahrens zur qualifizierten Ermittlung der Bedarfssätze und ihrer regelmäßigen Anpassung an die Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten. In die gleiche Kerbe schlug auch der GEW-Hochschulexperte Keller, der die Ampelkoalition aufforderte, ihr Versprechen einer Strukturreform der Ausbildungsförderung noch in dieser Legislaturperiode des Bundestages einlösen. Dazu gehören für ihn die Anpassung der Förderdauer an die tatsächlichen Studienzeiten, die herkunftsunabhängige Ausgestaltung des BAföG, die Streichung aller Altersgrenzen, die Wiedereinführung des Regelförderung von Schülerinnen und Schüler ab der Sekundarstufe I und perspektivisch die Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung zu einem elternunabhängigen staatlichen Studienhonorar.