BUNDESTAG: WAHLRECHTSREFORM : Tauziehen um gesetzliche Paritätsvorgaben

16. November 2022 // Holger H. Lührig

Nach den beiden Sitzungen der Wahlrechtskommission des Bundestages zum Thema Parität warten alle Beteiligten und die interessierte Öffentlichkeit auf einen Textvorschlag des Sekretariats, der Aufschluss geben kann über den weiteren Fortgang der Beratungen. Unabhängig davon wird nach zwd-Informationen in Koalitionskreisen ausgelotet, welche Möglichkeiten einer Annäherung zwischen den unvereinbaren Positionen von SPD und Grünen pro Parität und der ablehnenden Haltung der FDP gegen jegliche Paritätsregelung bestehen. Nicht ohne Brisanz sind dabei Vorschläge aus den Federn der von FDP und Grünen entsandten Sachverständigen, die Lösungsvorschläge unterhalb einer gesetzlichen Paritätsvorgabe machen und die inzwischen als offizielle Kommissionsdrucksachen veröffentlicht worden sind.

FDP-Sachverständige kontert Paritätslösungen mit dem Vorschlag eines freiwilligen Selbstverpflichtungskodex

Gleich zweimal erlebten die Mitglieder der Wahlrechtskommission des Bundestages eine handfeste Überraschung. Erst präsentierte die FDP speziell für die beiden Sitzungen zum Thema Parität am 29. September eine junge, gerade frisch promovierte Dr.in Anna Gloßner (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl der renommierten Rechtswissenschaftlerin Friederike Wappner, Uni Mainz), die aus der - von der FDP geteilten - Ablehnung jeglicher Paritätslösungen keinen Hehl machte. Sie hatte gerade eine Dissertation über "Paritätsgesetze und repräsentative Demokratie" verfasst, die den Paritätslösungen das Etikett "verfassungswidrig" zuschrieb - ganz im Sinne der Auffassung der von den Unionsparteien entsandten Sachverständigen Prof.in Stefanie Schmahl, Prof. Bernd Grzeszick, Prof. Rudolf Mellinghoff, die sich alle gegen Paritätsgesetze positioniert haben. Als Alternative zu gesetzlichen Regelungen präsentierte Gloßner den Vorschlag eines auf Freiwilligkeit beruhenden "Kodex zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in der Politik". Dem erteilten allerdings die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Leni Breymaier und ebenso die von der SPD entsandten Sachverständigen Prof.in Silke Ruth Laskowski und Elke Ferner (ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ) eine unmissverständliche Absage. (Ausführlich in Ausgabe 393 des zwd-POLITIKMAGAZINs).

Titel der Ausgabe zwd-POLITIKMAGAZIN 393

Inzwischen hat Dr.in Gloßner ihren Vorschlag in einer 24-seitigen Kommissionsdrucksache (Drs 20(31)052 untermauert.

Grünen-Sachverständige: Auf dem Stimmzettel eine Information über die Paritätsvorgaben der Parteien

In der Sitzung am 13. Oktober präsentierte sodann die von den Grünen aufgebotene Sachverständige Prof.in Jelena von Achenbach eine "vermittelnde Lösung": Für sie sei es eine "Option", die Parteien gesetzlich zu verpflichten, sich selbst ein Paritätsziel zu setzen, dieses aber in der Höhe frei zu wählen (von Null bis ...). Diese freiwillige Quote der Parteien könnte "zur Information der Wählenden auf dem Wahlzettel abgedruckt werden". Von Achenbach bezeichnete diese Lösung als "verbindliche Selbstregulierung der Parteien". Politische Beobachter verwunderte nicht, dass dieser Vorschlag sofort von Prof. Mellinghoff aufgegriffen und durch die Empfehlung ergänzt wurde, die Parteien könnten Rechenschaftsberichte über ihre praktizierte Gleichberechtigung von Mann und Frau abgeben. Diese Berichterstattung ist allerdings in den Parteien SPD, Bündnisgrüne und Linke selbstverständliche Praxis. Auch das Positionspapier der Sachverständigen von Achenbach ist inzwischen als offizielle Kommissionsdrucksache veröffentlicht (Drs.: 20(31)051).

Strategiewechsel zugunsten von Lösungen unterhalb der Parität?

In SPD-Kreisen wurde der Vorstoß der auf Vorschlag der Grünen in die Kommission berufenen Jelena von Achenbach mit außerordentlicher Skepsis und als "kontraproduktiv" für das Ziel einer paritätischen Gesetzgebung aufgenommen. Gefragt wurde, ob angesichts der (gegenwärtig) paritätsablehnenden Mehrheit im Bundestag damit ein Einstieg in eine Alternative zur Paritätsgesetzgebung verbunden sein könnte - etwa sich im Sinne der FDP und der Unionsparteien auf eine Lösung unterhalb der gesetzlichen Paritätsvorgaben einzulassen. Auf zwd-Nachfrage bekräftigte allerdings die frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, ihre bereits in der Kommissionssitzung am 13. Oktober geäußerten Haltung, die ungleiche Repräsentation der Geschlechter im Parlament erfordere eine verfassungsgemäße Lösung, die einen Ausgleich herstelle. Die Grünen seien unverändert für die Parität, betonte Schauws, für die laut "Heute im BUndestag" eine Regelung unterhalb einer Paritätsgesetzgebung "nicht das ist, was wir machen sollten." Auch die Sachverständige von Achenbach hatte in der Sitzung der Wahlrechtskommission Paritätsvorgaben als ein Öffnungsinstrument bezeichnet, mit ein "Kulturwandel" angeschoben werden könne, um die faktische Männerquote abzubauen. Der Verfassungsgesetzgeber, so von Achenbach, solle seinen Gestaltungsspielraum ausschöpfen und sich nicht von dem Gedanken leiten lassen, was gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht dazu sagen könnte. In diesem Sinne hatte sich zuvor der FDP-Obmann in der Wahlrechtskommission Konstantin Kuhle geäußert. Er hatte die Auffassung vertreten, das Scheitern einer Paritätsregelung vor dem Bundesverfassungsgericht sei dem Ziel gleichberechtigter Repräsentanz "nicht förderlich".

Linke: Paritätsgesetze sind verfassungsrechtlich zulässig

Anders als der FDP-Fraktionsvize plädierte auch die Linken-Politikerin Susanne Hennig-Wellsow in der Kommission für "Mut", dem Bundestag eine politische Entscheidung vorzuschlagen. Die aus Thüringen stammende Bundestagsabgeordnete hat die Nachfolge der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (ebenfalls Linke) als Kommissionsmitglied angetreten, Ihre Partei will sich nach zwd-Informationen stärker als bisher für eine gesetzliche Paritätsregelung auf Bundesebene einsetzen, zumal gerade in dem von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) regierten Thüringen die landesgesetzliche Paritätsregelung durch das dortige Landesverfassungsgericht verworfen worden war.

Sehr nachdrücklich pro Parität hat sich die auf Vorschlag der Linken in die Kommission berufene Sachverständige Dr.in Halina Wawzyniak geäußert. Mit Blick auf den Zwischenbericht der Kommission unterstrich sie ihre bereits in der Kommissionsdrucksache 20(31)04 ausgeführte Auffassung, dass Parität als Chancengleichheit in der Kandidatur verstanden verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei. Wörtlich schreibt sie in der als Kommissionsdrucksache 20(31)044 veröffentlichten Stellungnahme:

Das Bundesverfassungsgericht entschied im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde über die Verpflichtung zu einem Paritätsgesetz, nicht jedoch über die Zulässigkeit und hat in seiner Entscheidung im Hinblick auf das Verhältnis des Gleichstellungsgebotes des Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 zur Parteienfreiheit des Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz und den Wahlrechtsgrundsätzen des Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz formuliert: „Vielmehr spricht vieles dafür, dass sich diese Verfassungsgüter gleichrangig gegenüberstehen und es Sache des Gesetzgebers ist, zwischen ihnen einen angemessenen Ausgleich herbeizuführen.“

Die Sachverständige hält vor diesem Hintergrund nichts davon, die Diskussion über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Paritätsgesetzen in der Kommission noch fortzusetzen. Für Wawzyniak stellen zudem die Soft-Law-Vorschläge wie der empfohlene Kodex von Gloßner "keine Verbindlichkeit her, so dass sie den aktuellen Zustand kaum verbessern und die Chancengleichheit für Frauen nicht erhöhen." Ähnliches gilt auch für den von Achenbach-Vorschlag.

Protokolle der Paritätssitzungen bisher nicht nachlesbar

Aufgefallen ist, dass von den beiden dem Paritätsthema gewidmeten Sitzungen der Wahlrechtskommission bislang keine Protokolle veröffentlicht worden sind (wie anders nach früheren Kommissionssitzungen), sondern lediglich Videomitschnitte existieren. Positiv ist jedoch herauszustellen, dass die Kommissionsdrucksachen öffentlich zugänglich sind.

Die komplette Ausgabe des zwd-POLITIKMAGAZINs 393 mit der ausführlichen Berichterstattung über die Initiative PARITÄTJETZT! und die Beratungen der Wahlrechtskommission des Bundestages nebst rechtlicher Beurteilungen können Sie hier herunterladen.zwd-POLITIKMAGAZIN_393_WEB_mitPW_Druck_final.pdf.

Weitere Artikel finden Sie auch auf der Seite "PARITÄTJETZT!" im Portal der Gesellschaft Chancengleichheit e.V.

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