
Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren der Studie, Prof. Peter-Tobias Stoll, Direktor der Abteilung Internationales Wirtschaftsrecht und Umweltrecht an der Universität Göttingen, Wybe Th. Douma vom TMC Asser Instituut in Den Haag und Prof. Nicolas de Sadeleer von der Université Saint-Louis in Brüssel. So bildet nach ihrer Einschätzung das in den Verträgen der Europäischen Union festgeschriebene Vorsorgeprinzip eine wesentliche Grundlage für die Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherpolitik in Europa und unterscheidet sich fundamental von dem „nachsorgenden Ansatz“ in den USA und Kanada. Während in Nordamerika prinzipiell alle Substanzen zugelassen würden, bis deren Schädlichkeit nachgewiesen wird, gelte beim Vorsorgeprinzip die Umkehr der Beweislast: Demnach muss ein Unternehmen – beispielsweise bei der Zulassung von Chemikalien – die Unschädlichkeit wissenschaftlich nachweisen und alle eigenen Studien dazu offenlegen. Regierungen in Europa können bei potenziellen Risiken vorsorgend aktiv werden, wenn es begründete Bedenken gibt, so die Rechtswissenschaftler. Sowohl TTIP als auch CETA bezögen sich zudem explizit auf rechtliche Verpflichtungen der Welthandelsorganisation (WTO), in denen sich das Vorsorgeprinzip, wie in Europa praktiziert, nicht wiederfinde. Regulierungsvorhaben, die sich auf das Prinzip der Vorsorge berufen, könnten somit laut Gutachten in Zukunft verzögert, verwässert oder verhindert werden.
Politiker in Brüssel und Berlin sowie Wirtschaftsvertreter sehen das Vorsorgeprinzip durch TTIP und CETA jedoch nicht in Gefahr: So erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), dass „das Vorsorgeprinzip bei den Verhandlungen nicht zur Disposition steht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versicherte, es werde „kein einziger Standard, der in der Europäischen Union oder in Deutschland gilt, abgesenkt“. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) versprach ebenfalls: „Eine Absenkung der erreichten Standards wird es nicht geben.“ Aus Sicht von foodwatch sei dies jedoch „eine vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit“. So werde das Vorsorgeprinzip in den Handelsverträgen nicht an einer einzigen Stelle genannt. „TTIP und CETA sind ein versteckter Angriff auf das europäische Vorsorgeprinzip. Klammheimlich soll ein Verfassungsrecht ausgehebelt werden – mit fatalen Folgen für die Verbraucherinnen und Verbraucher“, kritisiert die Verbraucherorganisation.