d Berlin. Kinder erziehen, Angehörige pflegen, sich um den Haushalt kümmern sind im privaten Umfeld zeit- und energieaufwendige, doch unbezahlte, oft als selbstverständlich angesehene Tätigkeiten. In der Berufswelt arbeiten in Grundschulen, Kitas oder auf Pflegestationen überwiegend Frauen für niedrige Löhne und erfahren gleichzeitig wenig Anerkennung für ihre Leistungen. Auf einer zweitägigen Konferenz im Kollegium Leoninum in Bonn diskutierten die Teilnehmer*innen über die Situation der Sorgearbeit in der Bundesrepublik.
Der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) hob in seinem Grußwort zur Tagung die „mangelnde Wertschätzung“ und „ungleiche Verteilung von Fürsorgearbeit“ in der Gesellschaft hervor. Er wies auf die Bedeutung von Care-Einrichtungen, wie Kitas und Altenpflegeheimen und die Arbeitsleistung von Pflegefachkräften im pädagogischen und sozialen Bereich sowie die von vielen Angestellten in ihrem privaten Umfeld übernommene Verantwortung hin. In seiner Ansprache unterstrich Sridharan, wie wichtig die Fürsorgearbeit „für ein funktionierendes Miteinander“ ist. Der 2016 von der Initiative Equal Care Day eingerichtete Aktionstag soll auf die in weiten Teilen „unsichtbare“ Sorgearbeit hinweisen, die noch immer mehrheitlich Frauen verrichten.
Durch Care-Arbeit haben Frauen ungleiche Chancen im Beruf
Prof.´in Dr. Uta Meier-Gräwe von der Justus-Liebig-Universität Gießen präsentierte den Teilnehmer*innen der Konferenz Fakten, welche die „ungleichen Verwirklichungschancen“ von Frauen in der Gesellschaft belegen. Sie wies den durch die ungerechte Verteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern herrschenden „Gender Care Gap“ auf und machte gleichzeitig Sorgearbeit als die Grundlage für eine nachhaltige Wirtschaft deutlich. Die Gesellschaftswissenschaftlerin Prof.´in Dr. Helma Lutz warf einen Blick auf die „globalen Betreuungsketten“: Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeitet jeweils eine von 25 berufstätigen Frauen weltweit als Hausangestellte. In vielen Haushalten der Mittel- und Oberschicht sind Migrant*innen sind demnach mit Care-Arbeit betraut, laut ILO haben weltweit mehr als ein Sechstel der häuslichen Angestellten einen transnationalen Zuwanderungshintergrund.
Nach Darlegung der Wirtschaftssoziologin Meier-Gräwe, die auch bei Bündnis 90/Die Grünen engagiert ist, erzielen Frauen z.B. in ihrem Lebensverlauf ein um ca. fast 50 Prozent geringeres Gesamterwerbseinkommen als Männer, leisten andererseits aber etwa anderthalb Mal so viel unbezahlte, pflegende Arbeit. In Familien mit Kindern haben Frauen laut Meier-Gräwe sogar 83 Prozent mehr unvergütete Tätigkeiten zu verrichten. Nach dDer OECD-Studie „Dare-To-Share“ von 2017 tragen Mütter mit einem oder mehr Kindern in der Bundesrepublik dadurch nur zu knapp einem Fünftel zum familiären Haushaltseinkommen bei. Von allen 15 untersuchten Ländern rangierte Deutschland mit diesem Anteil der Frauen an den Familieneinkünften an letzter Stelle.
Aufgaben in der Familie sind nicht gleichmäßig verteilt
Lediglich rund 15 Prozent der Eltern mit jungen Kindern gelingt es nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) , Erwerbstätigkeit und Arbeit in Haushalt und Familie gleichmäßig aufzuteilen. Wie groß die Kluft zwischen der gesellschaftlichen Bewertung sowie den Gehältern der Sorgeberufe und der traditionellen Männerberufe ist, zeigt der ebenfalls von Meier-Gräwe zitierte Report des Instituts Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen von 2017: Bei vergleichbaren Arbeitsbelastungen verdienten Führungskräfte im Bereich von IT-Dienstleistungen rund 17 Euro pro Stunde mehr als Fachpersonal im Pflege- und Gesundheitswesen.
Meier-Gräwe, die als Mitglied der Sachverständigenkommission an der Erstellung des Zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung mitwirkte, forderte daher u.a. eine „Gleichstellungsorientierte Gestaltung der Erwerbs- und Sorgearbeit, bei der alle Menschen Erwerbs- und Sorgearbeit im Lebensverlauf gleichberechtigt verbinden können“. Durch institutionelle wie politische Rahmenbedingungen sei nach Ansicht von Meier-Gräwe sicherzustellen, dass Mütter und Väter „Zweiverdiener-Arrangements“ ohne die nachteiligen Effekte der Überforderung leben können. Dabei warb die Gießener Hochschullehrerin für das dem klassischen „Familienernährer“-Konzept oder der „Doppel-Vollzeit“ entgegengesetzten sog. Erwerb-und-Sorge-Modell, bei dem beide Eltern zu gleichen Anteilen Erwerbs- und Sorgearbeit übernehmen und Hilfeleistungen an andere Personen übertragen.
Thüringer Landes-SPD fordert höhere Mindestlöhne für Pflegepersonal
Ähnlich wie die Akteur*innen auf der Bonner Veranstaltung äußerten sich im Vorfeld Politiker*innen und Gewerkschaftler*innen zum Equal-Care-Day. Noch immer leisteten Frauen fast doppelt so viel unbezahlte Arbeitszeit als Männer, die somit „extrem unfair verteilt“ sei, sagten die Fraktionsvize und die Sprecherin für Pflegepolitik von Bündnis 90/Die Grünen Katja Dörner und Kordula Schulz-Asche. Ohne diese zu wenig wertgeschätzte Care-Arbeit könnten Wirtschaft und Gesellschaft nicht funktionieren, erklärten sie. Die professionelle Sorgearbeit verdiene „deutlich mehr Anerkennung“, forderten die Grünen-Politiker*innen.
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast nannte die Care-Arbeit einen "Eckpfeiler unserer Gesellschaft". Sie brauche gute Arbeitsbedingungen und verdiene es, fair bezahlt und anerkannt zu werden. Die gesundheitspolitische Sprecherin der thüringischen SPD-Landtagsfraktion Cornelia Klisch bezeichnete in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, für das Betreuen von Angehörigen zur eigenen Rentenvorsorge in die Pflegekasse einzuzahlen als einen „wichtigen Beitrag“. Seitdem das Pflegestärkungsgesetz 2017 in Kraft getreten sei, würde diese Regelung noch mehr für Angehörige sorgenden Menschen zugutekommen. Die Arbeitsmarktpolitikerin der SPD Diana Lehmann plädierte andererseits dafür, den Pflegeberuf für Nachwuchskräfte attraktiver zu machen, um dem Mangel an Fachkräften Abhilfe zu verschaffen. Sie schlägt daher einen an die Krankenpflege angepassten höheren Mindestlohn im Pflegebereich von 11,35 vor, der spätestens bis 2022 auf 12,55 anzuheben sei. Zudem sei es nötig, den Personalschlüssel bei der Altenpflege an den auf dem Gebiet der Krankenpflege geltenden anzupassen.
Linke: Kultureller und politischer Wandel bei Care-Arbeit erforderlich
"Arbeit und Zeit gerecht zu verteilen“ nannte die gleichstellungspolitische Sprecherin der Linksfraktion Doris Achelwilm “ eine der dringlichsten Aufgaben der Politik“. Durch die unerlässlichen, mehrheitlich von Frauen bewältigten „Daueraufgaben“ von Erziehung und Pflege müssten die weiblichen Arbeitnehmer*innen häufig „im Erwerbsleben zurückstecken“. Sie hätten schlechtere Einkommen, geringere Aufstiegschancen und niedrigere Renten, fasste Achelwilm die ungünstigen Folgen der ungleich verteilten Sorgearbeit für Frauen zusammen.
Um diese Verhältnisse zu ändern, braue es nach Ansicht der Linken-Politikerin „einen Kultur- und Politikwandel, der bei der Gleichstellung von Männern und Frauen auch die gleiche Verteilung von Verantwortung und Zeit im Privatleben mitdenkt“. Die pflegepolitische Sprecherin der Linken Pia Zimmermann kritisierte die Bundesregierung, die trotz des vielfach beklagten „Pflegenotstandes“ diesen nicht mit wirksamen Mitteln bekämpfe. Dass es bundesweit nicht genug Pflegefachkräfte gibt, sei auch „eine Folge der Abwertung der Berufe, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt werden", so Zimmermann.
ver.di: Pflegeversicherung Voraussetzung, um Sorgearbeit aufzuwerten
Auch der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Frank Werneke verlangte in einem Appell zum Equal-Care-Day, dass diese „gesellschaftlich absolut notwendige Arbeit ( …) aufgewertet und besser entlohnt werden“ müsse. Ebenso seien die Arbeitsbedingungen im Bereich der Care-Arbeit zu verbessern und das Personal aufzustocken.
Eine Pflegeversicherung einzuführen sieht er als eine wichtige Voraussetzung an, um Sorgearbeit aufzuwerten. „Anständige Löhne“ für die Pflegekräfte dürften nicht dazu führen, dass die Interessen von Pflegebedürftigen weniger gewahrt würden. „Pflegebedürftigkeit darf kein individuelles Armutsrisiko sein", unterstrich Werneke. Der bayerische Frauenbund forderte zum diesjährigen Aktionstag sogar eine „Care-Wende“. Dafür gebe es bereits „kreative Ansätze“. Gerade im Hinblick auf den digitalen Wandel in der Arbeitswelt sei es nach Auffassung des bayerischen Frauenbundes „höchste Zeit“, dass auf dem Gebiet der Sorgearbeit „ein Umdenken“ stattfindet, das allerdings „Mut zur Bewegung“ und neue Ideen erfordere. Wer andere pflegt und für sie sorgt, sei „häufig im Nachteil“ und werde in der heutigen Sozialordnung „systematisch diskriminiert“, erklärte die Vorsitzende Emilia Müller. Gesellschaft und Wirtschaft profitierten hingegen von der Sorgearbeit. Deren Wert müsse „adäquat honoriert und abgebildet werden“, so Müller.
Quelle: klische*esc