ÄRZTETAG DRINGT AUF REFORM des § 218 | KOALITIONSVERTRAG BEDINGT UMSETZUNG : Urteil gegen Chefarzt Prof. Volz: Neuregelung des § 218 und des kirchlichen Arbeitsrechts dringlich

9. August 2025 // Holger H. Lüphrig

Mit der Forderung, die Bedingungen für fristgerechte Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln, hatte der 29. Deutschen Ärztetag den Bundestag und Bundesrat vor zwei Monaten in die Pflicht genommen. Das Urteil zulasten des Lippstädter Chefarztes Prof. Joachim Volz hat die Dringlichlkeit der Neuregelung sowohl des StGB-Paragrafen 218 als auch des kirchlichen Arbeitsrechts aufgezeigt. Ohnedies hat die schwarz-rote Koalition in ihrer Koalitionsvereinbarung 2025 festgelegt, die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen zu erweitern. Die rasche Umsetzung ist angesagt.


/Bilod: Innn.it/Joachim Volz
/Bilod: Innn.it/Joachim Volz

Der Lippstädter Chefrarzt Prof. Dr. Joachim Volz ist mit seiner Klage gegen eine Dienstanweisung des Christlichen Klinikums Lippstadt, wonach ihm Schwangerschaftsabbrüche sowohl in der Klinik als auch in seiner privatärztlichen Praxis untersagt wurden, vor dem Arbeitsgericht Hamm gescheitert. Vor dem Gericht hatten sich rund 2.000 Menschen zu einer Soilidaritätskundgebung versammelt, darunter auch maßgebliche Abgeordnete der grünen Bundestagsfraktion wie deren frauenpolitische Sprecherin Ulle Schauws. Eine von Volz per INNN.IT gestartete Online-Petition hatten binnen kurzer Zeit mehr fast 250.000 Menschen unterschrieben. Die Botschaft der Petition lautete: "Ich bin Arzt & meine Hilfe ist keine Sünde: Stoppt die Kriminalisierzung von Schwangerschgaftsabbrüchen." (Bild nebenstehend)

Untersagung "aufgrund bestehender Rechtslage"

Nach dem Urtell des Arbeitsgerichts Hamm darf der kirchliche Träger aufgrund der bestehenden Gesetzeslage im Rahmen des kirchlichen Arbeitsrechts nicht nur Abtreibungen in der Klinik verbieten, sondern auch die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen in der eigenen Bielefelder Praxis des Chefarzts untersagen. Die bisherige evangelische Frauenklinik, an der Volz tätig ist, war im Zuge einer Fusion von einem katholischen Krankenhausträger, welches das Dreifaltigkeitshospital betreibt, übernommen worden. Der Gynäkologe hält die Dienstanweisung, die den Vorrang der katholischen Abtreibungsideologie vor medizinischen Entscheidungen postuliert, nicht nur für falsch, sondern sieht darin auch unterlassene Hilfsleistung gegenüber Schwangeren. Volz, Vater zweier Töchter, will, dass sie über ihre Schwangerschaft und ihr Leben selbst entscheiden dürfen. Volz hat angekündigt, das nicht rechtskräftige Urteil in der nächsten Instanz anzufechten. Er will notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.

Aus Sicht der Gewerkschaft Verdi wird durch das kirchliche Arbeitsrecht konfessionellen Trägern erlaubt, grundlegende arbeitsrechtliche Standards auszuhebeln - "mit fatalen Folgen für Beschäftigte und Patient:innen". Verdi fordetrt deshalb - auch an die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken und Bundesfrauenministerin Karin Prien (beide CDU) gerichtet - "Schluss mit dem kirchlichen Sonderarbeitsrecht" und fordert: "Medizinische Entscheidungen gehören in fachliche, nicht in religiöse Hände. Die Bundesgesundheitsministerin hatte sich anlässlich der Bundestagsdebatte über einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf von 328 Bundestagsabgeordneten zur Neuregelung von Schwangerschaftssbbrüchen am 5. Dezember 2024 als Gegnerin einer Liberalisierung geoutet. (Ausführlich zwd-POLITIKMAGAZIN 407).

Gesetzliche Kassenleistung geht nur über Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs

CDU/CSU-Parlamentarier sind erboßt. Im Zuge der Auseinandersetzungen um den Wahlvorschlag, die Potsdamer Hochschullehrerin Prof.in Dr.in Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsreichterin zu wählen, ist ihnen klargeworden, welche Konsequenzen sich aus der Festlegung des Koalitionsvertrages ergeben. Der Satz zur Kostenübernahme war erst zuletzt in den Vertrag aufgenommen worden, ohne dass sich die Verhandler, die Parteivorsitzenden Merz, Söder und Klingbeil, offenbar der sich daraus ergebenden Folgen bewusst waren. Im Koalitionsvertrag heißt es wörtlich:

"Wir wollen Frauen, die ungewollt schwanger werden, in dieser sensiblen Lage umfassend unterstützen, um das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen. Für Frauen in Konfliktsituationen wollen wir den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen. Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus. Zudem werden wir die medizinische Weiterbildung stärken."

Der Erweiterung der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Kassen steht bisher entgegen, dass die Abtreibung zwar als straffrei, aber auch - gemäß § 218 Strafgesetzbuch - als "rechtswidrig" gilt. Deshalb war eine Kostenübernahme weitgehend ausgeschlossen. Darauf hatte Brosius-Gersdorf in der Sendung mit Markus Lanz hingewiesen.

Bundeskanzler Merz hatte daraufhin in seiner Sommerpressekonferenz am 18.Juli auf eine entsprechende Nachfrage gesagt:

"Was im Koalitionsvertrag verabredet worden ist, soll kommen; da macht niemand Abstriche. Welche Rechtsfolgen das hat, möglicherweise auch auf den § 218 des Strafgesetzbuches, kann ich jetzt nicht abschließend beurteilen. Ich will nur darauf hinweisen, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland davon ausgeht, dass es rechtswidrig ist, aber unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Ob diese Konstruktion geändert werden muss, wenn wir im Sozialrecht und im Krankenkassenrecht etwas ändern, vermag ich im Augenblick nicht zu beantworten. Meine Vermutung ist, wir werden daran, jedenfalls deswegen, nichts ändern müssen."

Beschluss des 29. Bundesärztetages

Der 29. Deutsche Ärztetag hat auf seinem Jahreskongress (27-30.Mai 2025) von den politisch Verantwortlichen gefordert, „dass die Bedingungen für fristgerechte Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden.“ Den Antrag hatte eine Gruppe um das Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein, Dr.in med. Lydia Berendes eingebracht. Unterstützt wurde er unter anderem von der Chefärztin für Gynäkologie Prof.in Dr.in med Mandy Mangler, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Berlin. Sie hatte in der Aussprache darauf hingewiesen, dass der Paragraf 218 StGB aus dem Jahr 1871 stamme, an deren Entstehung Ärzt:innen nicht beteiligt gewesen seien. Der Beschluss wurde von den Delegierten mit Standing Ovation gefeiert. Zuvor hatte das Ärzte-Plenum laut einem Bericht des Deutschen Ärzteblatts zwei Stunden lang umfassend mit teilweise emotionalen Redebeiträgen über insgesamt 10 Anträge zu dem Themenkomplex Schwangerschaft debattiert, von denen vier pro Entkriminalisierung angenommen wurden.

Abgelehnt: „Erst gesellschaftliche Frage klären“

Ein Antrag, vor der Streichung des § 218 zunächst die gesellschaftliche Frage zu klären, „weil die Gesellschaft noch nicht bereit sei für diesen Schritt“, erfuhr eine klare Abfuhr. Gestellt worden war er unter anderem von der Präsidentin der Landesärztekammer (LÄK) Niedersachsen Dr.in med. Martina Wenker, die auch Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer (BÄK) ist.

Der Kongress sprach die Erwartung aus, dass Ärztinnen und Ärzte, die – ihrem Gewissen folgend – sich dazu entschließen, Schwangerschaftsabbrüche durchführen, „wirksam vor Drangsalierungen, Bedrohungen und Angriffen geschützt werden. Andererseits müsse auch akzeptiert werden, dass Ärzt:innen aus Gewissensgründen keine Abbrüche vornähmen.

Verpflichtung zur Beratung soll weiter gelten

Votiert hat der Ärztetag auch dafür, dass die Verpflichtung zur Beratung bleiben soll. Delegierte wie Mandy Mangler (Bild nebenstehend) hatten sich hingegen für eine Liberalisierung dieser Regelung eingesetzt mit der Maßgabe, die Beratung den Schwangeren nur noch auf freiwilliger Basis anzubieten. Für manche Frauen sei die Beratungspflicht überflüssig.

Explizit mahnt der Ärztekongress an, dass durch „ein gutes Beratungs- und Versorgungsangebot ermöglicht werden (müsse), dass die Situation der ungewollt Schwangeren nicht vom Termindruck bestimmt werde“. Verschiedene Delegierte hatten auf dem Kongress in diesem Zusammenhang von Erfahrungen aus ihrer gynäkologischen Praxis berichtet. Dabei spielte auch der Fall eines Chefarztesin Nordrhein-Westfalen eine Rolle, dem das Vornehmen von Schwangerschaftsabbrüchen untersagt wurde, nachdem seine Klinik von einem katholischen Krankenhausträger übernommen worden war. Solche Vorgänge hätten Auswirkungen auf die Versorgungsrealität, gab Dr.in med. Laura Bahlhaus (LÄK Westfalen-Lippe) zu bedenken. Von Lücken im Versorgungsnetz berichtete auch Dr.in med. Christel Kreuzer (LÄK Nordrhein). Sie beschrieb, dass in ihrem Kammerbezirk das Angebot außerhalb von Köln nur spärlich sei und Frauen in einer ohnehin emotionalen Ausnahmesituation teilweise mehr als 100 Kilometer bis zu ihrer Praxis zurücklegen müssten.

Dazu sei erforderlich, die Beratungsstellen personell und finanziell auskömmlich auszustatten, heißt es in einem Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer, der von BÄK-Vizepräsidentin Dr.in med. Ellen Lundershausen vorgestellt worde war. Die Vorlage, die mit 178 Ja- und 44 Nein-Stimmen angenommen wurde, ist auf die Forderung zugespitzt:

„Damit die betroffenen Frauen zwischen den Methoden eine Wahl haben, sind Angebote sowohl zum operativen wie zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in allen Regionen Deutschlands niedrigschwellig und in erreichbarer Entfernung zur Verfügung zu stellen.“

Für den Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) hat sich der Ärztetag mit seinen „historischen“ Beschlussfassungen hinter die Mehrheit der Bevölkerung gestellt, die befürwortet, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen. Mit dem auf seiner Webseite veröffentlichte Bild feiert der AKP einige seiner Mitglieder, die sich als Delegierte auf dem Deutschen Ärztetag 2025 in Leipzig für die Abschaffung des § 218 engagiert hatten, als „Heldinnen“:










v.l.n.r.: Laura Dalhaus, Margit Kollmer, Stefanie Minkley, Christel Kreuzer, Nadja Jesswein, Mandy Mangler.

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