zwd-INTERVIEW: DR. ERNST DIETER ROSSMANN : "Wir müssen ein Anrecht auf Weiterbildungszeiten schaffen"

9. Juni 2017 // Holger H. Lührig, Hannes Reinhardt

Was muss seitens der Politik für die berufliche Weiterbildung von Arbeitnehmer*innen unternommen werden? Das zwd-POLITIKMAGAZIN hat den Vorsitzenden des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, Dr. Ernst Dieter Rossmann, zu einem exklusiven Interview getroffen.

zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig, Bildungsredakteur Hannes Reinhardt und Dr. Ernst Dieter Rossmann in seinem Berliner Abgeordnetenbüro (v.l.n.r.).
zwd-Chefredakteur Holger H. Lührig, Bildungsredakteur Hannes Reinhardt und Dr. Ernst Dieter Rossmann in seinem Berliner Abgeordnetenbüro (v.l.n.r.).

zwd-POLITIKMAGAZIN: Herr Dr. Rossmann, eine aktuelle Studie der KfW hat ergeben, dass sich nur etwa ein Drittel der Arbeitnehmer*innen in Deutschland regelmäßig weiterbildet. Woran glauben Sie liegt das?

Rossmann: Einmal gibt es da sicherlich hohen Arbeitsanfall und Stress auf der aktuellen Arbeit, der Investitionen in zukünftige Qualifikationen dann nachrangig erscheinen lässt. Zum Zweiten gibt es auch nicht die große Bereitschaft aller Arbeitgeber, zusammen mit den Beschäftigten, den Gewerkschaften und Betriebsräten Weiterbildungspläne für jedes Niveau von Arbeit und Qualifikation zu erarbeiten. Es ist leider die bittere Wahrheit, dass diejenigen, die es am nötigsten für ihre eigene Qualifikationsverbesserung bräuchten – Niedrigqualifizierte und Menschen in schlecht bezahlten Jobs – am wenigsten Zugang zu Weiterbildung bekommen. Genauso gilt, dass es nach wie vor eine Diskriminierung bei Frauen und Älteren in der Weiterbildung gibt. Ein drittes Element ist, dass wir in der Weiterbildung auch die Beteiligten von dem Druck befreien müssen, den Anforderungen wie erneute Prüfungen, Zertifikate etc. bei vielen Menschen auslösen. Nicht alle verbinden aus ihrem bisherigen Bildungsweg heraus nur das Beste mit Lernen und Bildung. Von daher haben wir dort auch einen Teil Distanzen aus der Bildungsbiografie. Umso wichtiger ist es, dass wir Lernfreude und positive Lernerfahrungen von der Kindertagesstätte über die Schule und die Berufsausbildung immer wieder wecken und festigen. Meine Schlüsselbegriffe sind hier „Weiterbildungsfreude“ und „Weiterbildungsfähigkeit“. Wir müssen es schaffen, das Grundfundament so zu setzen, dass nicht Erleichterung da ist, wenn die letzte Prüfung bei der Berufsausbildung abgeschlossen ist, sondern sich gleich der Wunsch und die Erwartung aufbaut, den nächsten Schritt zu gehen. Dies muss dann auch unterstützt, gefördert und anerkannt werden, damit Weiterbildung durch den Arbeitnehmer nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrgenommen wird.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Und wie schaffen wir das?

Rossmann: Da sehe ich die verschiedensten Wege. Einer davon ist sicherlich, die Bundesagentur für Arbeit zu einer Agentur für Arbeit und Weiterbildung auszubauen. Dadurch könnten wir das ganze Instrumentarium für Menschen, die ohne Arbeit oder Abschluss oder vielleicht auch in prekärer Beschäftigung sind, deutlich ausweiten. Das Zweite: Wir müssen eine Rechtssicherheit schaffen, sodass es dort ganz selbstverständlich für jeden Beschäftigten ein Anrecht auf Weiterbildungszeiten gibt. Diese könnte er in einer Art „Lebenszeit-Weiterbildungskonto“ für sich in Anspruch nehmen. Als Formel schlage ich einen Rechtsanspruch auf mindestens drei Jahre Erstausbildung – beruflich oder akademisch – und auf mindestens drei Jahre Weiterbildung vor. Drittens müssen wir auch über neue Belohnungssysteme nachdenken, dass es beispielsweise eine Prämie gibt. Im hochqualifizierten Bereich ist es evident, dass man über Weiterbildung auch seine Einkommens- und Aufstiegschancen deutlich verbessern kann. Im niedrigqualifizierten Bereich ist diese Erwartung von negativen Erfahrungen mit dem Aufstiegsversprechen bis zur Prägung durch Misserfolgsorientierung, Pessimismus und Kurzfristigkeit im Denken vielfach sehr eingeschränkt. Deshalb haben wir im Weiterbildungsförderungsgesetz jetzt das erste Mal darauf reagieren können, in dem es eine besondere Förderung, sprich Belohnung und Anreiz, für die jungen Erwachsenen geben soll, die ihre Berufsausbildung nachholen. Hier bekommt jeder 1.000 Euro als Anerkennung auf die Hand, wer seine Zwischenprüfung macht, und noch dazu 1.500 Euro, wer dann auch seinen Abschluss macht. Ich halte das im Grundsatz für ein aussichtsreiches Fördermodell, das wir jetzt erproben und gegebenenfalls verbessern sollten und das wir auch auf die Grundbildung ausdehnen müssten. Der vierte Punkt ist, dass wir beim Aufstiegs-BAföG (ehem. Meister-BAföG – Red.) Barrieren wie teure Gebühren abbauen müssen. Das höre ich auch immer wieder von Menschen in meinem Wahlkreis, dass die 10.000 – 20.000 Euro, die als private Kosten eingesetzt werden müssen, durchaus einen großen Einschnitt ins Familienbudget darstellen. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hat sich bereits für eine deutliche Senkung dieser privaten Kostenbeteiligung ausgesprochen, um hier eine Gleichstellung mit dem Studium zu erreichen. Meiner Einschätzung nach sind all dies politische Ansätze, mit denen wir die Weiterbildung verbreitern können. Und dann gehören dazu natürlich auch noch beste Lernbedingungen, gute Curricula in Didaktik und Methodik und gut ausgebildetes und bezahltes Lehrpersonal. Denn Weiterbildung soll und muss ja auch Freude und möglichst Spaß machen.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Ein Bundesweiterbildungsgesetz hat sich ja bisher nicht durchsetzen lassen...

Rossmann: Mit dem Weiterbildungsförderungsgesetz haben wir ja z.B. einen kleinen Einstieg gefunden. Mit der Aufwertung des Meister-BAföGs zum Aufstiegs-BAföG verbreitert es sich ebenfalls. Wenn wir die Weiterbildungsprämien, die es ja an verschiedenen Stellen gibt, von einer Programmförderung hin zu einem Rechtsanspruch entwickeln können, hätten wir einen zusätzlichen Baustein gesetzt. Es wird schwierig werden, ein allgemeines Weiterbildungsgesetz zu etablieren, da dies immer zu Streit um Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern führt. Was die berufliche Bildung angeht hat jedoch der Bund die Gesetzgebungskompetenz. Die SPD entwickelt hier mit ihrem Konzept der Arbeitsversicherung und der Aufwertung des Arbeitsförderungsgesetzes in diesem Sinne eine langfristige Perspektive. Ich bin auch sehr hoffnungsvoll. Wenn wir davon reden, dass Wertschöpfung in jedem Arbeitsbereich zusätzliche Anpassungsqualifikationen, ich nenne es viel lieber Kreativqualifikationen, erfordert, sodass man sich auf neue Verhältnisse einstellen kann, dann kommen wir jetzt in das Jahrzehnt der Aufwertung der Weiterbildung. Da bin ich ziemlich sicher.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Der angesprochenen Studie zufolge erachtet eine Mehrheit Weiterbildung auch als wichtig für sich. Bemerken Sie hinsichtlich der zunehmenden Digitalisierung in den letzten Jahren Veränderungen an den Volkshochschulen, was Kursangebote und -nachfrage angeht?

Rossmann: Die Volkshochschulen haben ja die Strategie der „erweiterten Lernwelten“, wie wir das nennen. Also kein Ersetzen der klassischen Lernformen durch digitale, sondern eine Kombination aus beiden. Wir stellen bei vielen Volkshochschulen ein solches Vorgehen fest. Aber dennoch bleibt auch dort das traditionelle Kursangebot hochattraktiv, weil dieses auch die soziale Dimension gut ausfüllt. Man trifft sich, sieht sich, bildet eine Lerngemeinschaft und man lernt Menschen kennen. Das ist beim Lernen nach wie vor ein starkes Bedürfnis und kann über die sozialen Netzwerke so nicht abgedeckt werden. „Face-to-face“ zu sprechen ist für viele Menschen viel erfüllender, als sich nur digitale Kurznachrichten zuzuschicken. Das wollen wir uns in den Volkshochschulen gerne als Qualität erhalten und es auch kombinieren mit den Flexibilitäts- und Mobilitätsbedürfnissen und -erfordernissen der Zukunft sowie mit den Lernformen, wie sie insbesondere in jungen Generationen stärker und lieber genutzt werden. Von daher sind wir auf einem guten Weg, aber wir machen dort keine Revolution.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Sind die Volkshochschulen denn gerüstet für die Digitalisierung?

Rossmann: Das ist bei den 930 Volkshochschulen, die wir in Deutschland haben, verschieden. Einige sind sehr offene Lernhäuser mit sehr attraktiven Blended-Learning-Angeboten (Hybris zwischen online und persönlich – Red.), andere befinden sich noch auf dem Weg dorthin. Wir haben hier die gleiche Herausforderung wie im allgemeinen Schulbereich und in anderen Bildungsbereichen zu verzeichnen, nämlich, dass alle Akteure lernen müssen, sich zu digitalisieren. Das ist ein großes Thema für die Volkshochschulen. Die Kultusministerkonferenz hat ja kürzlich eine Digitalisierungsstrategie erarbeitet. Darin wird immer wieder ein Punkt herausgestellt: Wie bekommen wir das klassische Lehrpersonal dazu, diesen Weg mitzugehen und sich selber weiterzubilden? Das ist in den Volkshochschulen in Teilen auch so. Von daher sind das keine kurzfristigen Entwicklungen, sondern stellen eine Mehrjahres-Umstellung und –Erweiterung der Kompetenzen dar. Es braucht auch deshalb eine längere Zeit, weil strukturell in jedem Bildungssystem ein sehr starkes Beharrungselement enthalten ist.

zwd-POLITIKMAGAZIN: Herr Dr. Rossmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Artikel als E-Mail versenden