UPDATE: BRIEF AN DIE BUNDESTAGSPRÄSIDENTIN : Wahlrechtsreform lässt befürchten: Weniger Frauen im nächsten Bundestag

16. Januar 2023 // Redaktion

Wenn die Wahlrechtsreform nach den Plänen der Ampel-Fraktionen Wirklichkeit werden soll, werden 138 Abgeordnete ihre Mandate nach der nächsten Bundestagswahl verlieren. Eine Expertise zeigt, welche Abgeordnete - unter Berücksichtigung des Bundestagswahlergebnisses vom 21. September 2022 ihr Mandat nicht bekommen hätten. Die Gesellschaft Chancengleichheit hat unterdessen ihren Appell in Schreiben an die Bundestagspräsidentin sowie an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Bündnis'90/Die Grünen und FDP auszugsweise veröffentlicht. Auch der Deutsche Frauenrat hat klare Erwartungen an das Parlament formuliert.

Bundestagsplenum (Bild: zwd)
Bundestagsplenum (Bild: zwd)

Der Deutsche Frauenrat (DF), die Dachorganisation der bundesdeutschen Frauenverbände, hat zum Auftakt der ersten Sitzungswoche des Bundestages im neuen Jahr am 16. Jnauar auf Twitter die Erwartung formuliert, "dass das Parlament die wichtigen frauen- und gleichstellungspolitischen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag vorantreibt und wir hier in den nächsten Monaten entscheidend vorankommen". Implizit, wenn auch nicht explizit zum Ausdruck gebracht, gehört dazu auch eine gesetzliche Paritätregelung, wie sie die vom DF mitgetragene die Kampagne ParitätJetzt" fordert. Die Ampel-Koalition hat sich bisher wegen der Widerstände der FDP zu einer entsprechenden Regelung nicht durchringen könnnen.

Widerstände gegen Regelungsvorschläge zur Verkleinerung des Parlaments

Vor allem die CSU läuft nun Sturm gegen die Pläne der Regierungsfraktionen, weil sie sich aufgrund ihrer bisher zahlreichen Direktmandate in Bayern besonders davon betroffen wähnt. Andererseits wird von den Fraktionsspitzen im Regierungsbündnis nun Aufklärung darüber verlangt, welche Auswirkungen das Ampel-Modell zur Verkleinerung des Bundestages auf die einzelnen Parteien und Mandate haben könnten. Eine vor längerem bekannt gewordene SPD-interne Übersicht hatte schon deutlich gemacht, dass auch die Sozialdemokrat:innen selbst bei Zugrundelegung des Wahlergebnisses von 2022 erhebliche Einbußen einzukalkulieren hätten: den Verlust von 11 Direktmandaten und von 38 Listenmandaten. Unter den Betroffenen finden sich nach dieser Berechnung SPD-Abgeordnete, die gegenwärtig wichtige Positionen in der zweiten Linie der Bundesregierung, in Bundestagsausschüssen sowie in der Fraktionsführung wahrnehmen (Anm: Die Liste liegt der Redaktion vor, wird aber von uns nicht veröffentlicht). Es kommt nicht von ungefähr, dass es offenbar fraktionsinterne Widerstände gegen den Entwurf gibt, der nun in offener Aussprache diskutiert werden soll. Der Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion in der Wahlrechtskommission Konstantin Kuhle widerspricht den Befürchtungen. Er meint, alle Parteien würden in vergleichbarem Umfang Federn lassen müssen.

Bericht der Wahlkreiskommission am 26. Januar

Von viel größerer Brisanz ist vor allem auch der Zuschnitt der Bundestagsdirektwahlkreise. Dieser Neuzuschnitt ist überfällig, weil sie sich Einwohnerzahlen in den Wahlkreisen zum Teil deutlich verändert haben und jeder Wahlkreis im Prinzip etwa gleich viele Wahlberechtigte umfassen sollte. Die Wahlkreiskommission des Bundestages, die sich nach Berufung durch den Bundespräsidenten sich am 15. Juni vergangenen Jahres als "parteipolitisch unabhängiges, weisungsfreies Sachverständigengremium konstituiert hatte, soll auftragsgemäß in zehn Tagen, am 26. Januar ihren Bericht vorlegen. Sie soll dabei auch die vom letzten Bundestag beschlossene Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 Wahlkreise prüfen.

Sinkender Frauenanteil befürchtet

In jedem Fall aber steht zu befürchten, dass der Frauenanteil in künftigen Bundestagen weiter sinken könnte. Dazu heißt es im Schreiben der Gesellschaft Chancengleichheit vom 10. Januar an die Präsidentin des Bundestages sowie an die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsfraktionen:

"Nach vorliegenden Informationen sieht der Entwurf der Ampel-Fraktionen keine Regelungen zur künftigen gleichberechtigten Repräsentanz von Frauen und Männern im Bundestag vor. Die von Ihnen berufene Wahlrechtskommission des Bundestages hatte aber nicht nur den Auftrag, die Verkleinerung sowie die Modernisierung der Parlamentsarbeit voranzubringen, sondern auch Lösungsvorschläge für eine paritätische Zusammensetzung des Bundestages zu erarbeiten. Eine bloße Reduzierung der Abgeordnetenzahl um 138 Mandate würde diesem Auftrag nicht gerecht: Bekanntlich wurden bei der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 21. September 2021 lediglich in 79 von 299 Wahlkreisen Frauen direkt in den Bundestag gewählt (26,4%), hingegen in 220 Wahlkreisen männliche Bewerber (73,58%). Über die 437 Listenmandate sind damals 178 Frauen in den Bundestag eingezogen (40,73%). Insofern darf angenommen werden, dass sich die Geschlechterverhältnisse im Parlament zu Ungunsten von Frauen gegenüber dem 34,78-prozentigen Frauenanteil (2021) noch weiter verschlechtern werden – sofern im Zuge der Wahlrechtsreform nicht noch eine entscheidende Neuregelung in Richtung auf eine paritätische Zusammensetzung des Bundestages ermöglicht wird."

Ob der Appell Gehör findet, hängt davon ab, inwieweit es beispielsweise der Kampagne "ParitätJetzt!" in den nächsten Wochen gelingt, die Öffentlichkeit für eine geschlechterparitätische Wahlrechtsreform zu sensibilisieren und zu mobilisieren.

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