PARAGRAPH 219a STGB : 26 Verbände wenden sich in einem offenen Brief an die Bundesregierung

11. Oktober 2018 // Julia Trippo

In einem offenen Brief an die Bundesregierung haben 26 Verbände die Streichung des Paragraphen 219a aus dem Strafgesetzbuch gefordert - darunter auch der DGB. Anlässlich des Berufungsverfahrens der Ärztin Kristina Hänel am Landgericht Gießen am 12.10.2018 fordern die Verbände ein Recht auf sachlichen Informationen über legale Schwangerschaftsabbrüche.

Bild: Webseite DGB
Bild: Webseite DGB

Verbändebündnis


O F F E N E R B R I E F - M E D I E N M I T T E I L U N G

An
die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Katarina Barley,
den Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn,
die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dr. Franziska Giffey,
den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ralph Brinkhaus,
die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Andrea Nahles,

Berlin, 11.10.2018

Wir bekräftigen: § 219a endlich abschaffen – Freien Zugang zu Informationen über legale Schwangerschaftsabbrüche sicherstellen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Barley,
sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Giffey,
sehr geehrter Herr Brinkhaus,
sehr geehrte Frau Nahles,

anlässlich des morgigen Berufungsverfahrens im Fall Kristina Hänel am Gießener Landgericht fordern wir, die unterzeichnenden Organisationen, Sie erneut auf, Frauen endlich legalen und uneingeschränkten Zugang zu umfassenden und sachlichen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zu gewähren und § 219a StGB aufzuheben. Die Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und darüber auch öffentlich informieren, haben seit dem erstem Urteil gegen Kristina Hänel am 24.11.2017 deutlich zugenommen. Dies führt u.a. dazu, dass sich einige Ärztinnen und Ärzte nicht mehr trauen, Abbrüche vorzunehmen. Dies schränkt das Informationsrecht von Betroffenen, die Möglichkeit der freien Wahl einer Ärztin oder eines Arztes sowie das Recht auf Selbstbestimmung gravierend ein.

Im April dieses Jahres haben wir Ihnen diesen Brief schon einmal zugesandt. Einige von Ihnen haben darauf reagiert, zudem hat auch die öffentliche Wahrnehmung gezeigt, dass das Anliegen, § 219a StGB vollständig aufzuheben, breiten gesellschaftlichen Rückhalt erfährt. Unser Offener Brief vom April 2018, der nun auch von weiteren Organisationen unterstützt wird, lautete:

Frauen haben ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung. Dazu gehört neben dem Informationsrecht auch das Recht auf freie Wahl einer Ärztin bzw. eines Arztes. § 219a StGB schränkt diese Rechte wesentlich ein: Er stellt nicht nur „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe. § 219a StGB erschwert Schwangeren den freien Zugang zu sachlichen Informationen über die konkreten Möglichkeiten eines Abbruchs.

Ärztinnen und Ärzte stoßen auf eine widersprüchliche Rechtslage. Sie dürfen zwar unter bestimmten Voraussetzungen Schwangerschaftsabbrüche straffrei vornehmen, sind aber nicht berechtigt, öffentlich darüber zu informieren.
Berufswidrige Werbung – das heißt anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung – ist ohnehin im Berufsrecht der Ärztinnen und Ärzte verboten.

Wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern, dass Ärztinnen und Ärzte ohne Risiko vor Strafverfolgung darüber informieren dürfen, wie, wo und durch wen straflose Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Frauen benötigen einen niedrigschwelligen Zugang zu sachlichen Informationen über medizinische Möglichkeiten und Implikationen eines Schwangerschaftsabbruchs sowie über Ärztinnen und Ärzte in erreichbarer Nähe, die ihn ausführen. Diese sachlichen Informationen sind keine „Werbung“ und sie dürfen nicht als solche interpretiert werden. Frauen muss ermöglicht werden, sich über Schwangerschaftsabbrüche und über Ärztinnen und Ärzte, die sie durchführen, zu informieren.

Wir fordern Sie auf: Garantieren Sie umfassende Informationsfreiheit über Schwangerschaftsabbrüche und heben Sie den § 219a StGB auf! Schaffen Sie Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte! Schützen Sie das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen!

Folgende Verbände haben den Offenen Brief unterzeichnet:

Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF)
AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.
Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF)
Bundesarbeitsgemeinschaft Frauenpolitik Bündnis 90/DIE GRÜNEN (BAG Frauenpolitik)
BAG – Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros
Bundesjugendwerk der AWO e.V.
BFF Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Frauen gegen Gewalt e.V.
Bundesverband der Frauengesundheitszentren e.V.
Bundesverband der Mütterzentren e.V.
Bundesverband Liberale Frauen e.V.
Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung
Der Paritätische - Gesamtverband
Deutscher Gewerkschaftsbund - Bundesvorstand (DGB)
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e.V. (DGPFG)
Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS)
Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb)
Evangelische Frauen in Deutschland e.V. (EFiD)
Feministische Offensive der LINKEN
Humanistischer Verband Deutschlands (HVD)
Landesverband Mütter- und Familienzentren in Bayern e.V.
Netzwerk Frauengesundheit Berlin
pro familia Bundesverband e.V.
Schwangerschaftsberatungsstelle BALANCE
SelbstHilfeInitiative Alleinerziehender (SHIA) e.V. Bundesverband
Sozialverband Deutschland e.V. SoVD
Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V. (VAMV)
Zukunftsforum Familie e.V.

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