DIE GROßE REFORM DER AUSBILDUNGSFÖRDERUNG (UPDATE) : Schulden bremsen BAföG: "Nur noch Reformen, die nichts kosten"?

22. Juni 2022 // Holger H. Lührig

Am morgigen 23. Juni wird der Bundestag voraussichtlich die 27. Novelle zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ohne wesentliche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf von FDP-Bildungsministerin Bettina Stark Watzinger verabschieden. Für die Ampel-Bildungspolitiker:innen ist das nur der erste Schritt, für Betroffene und aus Sicht der GEW hingegen absolut unzureichend. Doch auf den weitergehenden Reformplänen lastet das Schuldenbremsen-Versprechen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Jetzt wird darüber diskutiert, ob nur noch Reformen möglich sind, die nichts kosten. Die Hoffnungen richten sich noch auf den Etat 2023.

Bundesfinanzminister Christian Lindner in der Haushaltsdebatte des Bundestages / Quelle: Livestream DBT
Bundesfinanzminister Christian Lindner in der Haushaltsdebatte des Bundestages / Quelle: Livestream DBT

Droht ein Scheitern „mit Ansage“?

Es war vor allem die SPD in der Koalition mit CDU und CSU Verbesserungen bei BAföG einforderte und teilweise auch erreichte – aber der Reformstau blieb. Und das könnte auch damit zu tun haben, dass eine wirkliche Protestwelle von Betroffenen in den Hochschulen ausblieb. Das könnte sich nun ändern, denn die Einlösung der wichtigen Ampel-Versprechen hat ihren Preis. Und die Nachwuchsorganisationen der Ampel-Parteien werden sich künftig nicht mit technokratischen Lösungen zufriedengeben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat die bisherigen Reformschritte der Ampel-Koalition als unzureichend scharf kritisiert (siehe unten)

Unbefriedigender Start mit der 27. Novelle

Mit ihrer 27. BAföG-Novelle bewegt sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) trotz Aufbruchsankündigungen noch auf den vertrauten Gleisen der seit 16 Jahren unter CDU-Ressortherrschaft ausgeprägten Bundesbildungsbürokratie. Die hatte einen großen Wurf bisher nicht auf der Agenda. So wurde trotz höherer Fördersätze und Elternfreibeträge noch nicht das Ziel eines Paradigmenwechsels in der Ausbildungsförderung erreicht. In Koalitionskreisen verlautete, eine von Verbänden und Studierenden (berechtigt und auf Inflationsausgleich zielend) geforderte Erhöhung von Fördersätzen und Elternfreibeträgen sei im Rahmen der 27. Novelle nicht erreichbar, weil sich der für die Finanzen zuständige Koalitionspartner „nicht bewegen“ lasse.

Tatsächlich herrscht nicht nur bei den Jugendorganisationen von SPD und Grünen, sondern auch bei der FDP-Jugendorganisation, den Jungen Liberalen, Unzufriedenheit über den Stand der Beratungen zur BAföG-Reform. In ihrem Bundestagswahlprogramm 2021 hatten die Jungen Liberalen unzweideutig formuliert: „Ein Studium darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Deshalb fordern wir ein elternunabhängiges BAföG, das sich aus einem monatlichen Sockelbetrag und einem begrenzten, monatlich anpassbaren und zinsfreien Darlehen mit einkommensabhängiger Tilgungsrate zusammensetzt. Damit aus dem BAföG keine Schuldenfalle wird, verfällt die Darlehensschuld nach einer bestimmten Zeit und ist die maximale Höhe der Schuld begrenzt. Die Förderhöchstdauer soll die Regelstudienzeit plus zwei Semester betragen. Ein erstmaliger Studienfachwechsel wirkt sich nicht auf die Förderdauer für das neu gewählte Studium aus. Höchstaltersgrenzen schaffen wir ab. Zuverdienst- und Vermögensgrenzen heben wir an. Die Beantragung des BAföG läuft komplett digital.“

Ria Schröder (FDP) erinnert an Prof. Ralf Dahrendorf und damit an große Traditionen liberaler Bildungspolitik

Die ehemalige Bundesvorsitzende der JuLis (2018-20), die Hamburger Bundestagsabgeordnete Ria Schröder, die das Programm mitformuliert hat, erinnerte nicht von ungefähr in der Debatte über die 27. Novelle an die Wurzeln liberaler Bildungspolitik: „Bildung ist Bürgerrecht, titelte einst Ralf Dahrendorf. Nicht weniger ist unser Anspruch. Darum lassen Sie uns diesen Bildungschancenaufbruch heute gemeinsam auf den Weg bringen.“ Dass der Weg wirksam zum Ziel führt, wird der 29-jährigen Bundestagsabgeordneten noch viel Schweiß und Durchhaltevermögen in ihrer Partei abfordern.

Der Slogan von "Reformen, die nichts kosten“?

Denn finanzpolitisch ist noch nichts gesichert. Zwar hat Ministerin Stark-Watzinger in der Haushaltsdebatte im Bundestag darauf hinweisen dürfen, dass für die nächsten vier Jahre 2,3 Milliarden Euro zugunsten des BAföGs in die Mittelfristige Finanzplanung eingestellt worden seien. Doch die wirklich große und umfassende Reform der Ausbildungsförderung – ein Kernvorhaben der Ampel-Koalition – droht vorerst noch am Widerstand des von FDP-Parteichef Christian Lindner geführten Bundesfinanzministeriums zu scheitern. Lindners Versicherung, sein Bundeshaushalt 2023 werde die Schuldenbremse einhalten, könnte darauf hinauslaufen, die BAföG-Reform auf die lange Bank zu schieben – zumindest auf das Ende der Legislaturperiode, womit weitere Verbesserungen kleiner ausfallen könnten als bei den Koalitionsverhandlungen angedacht. Denn ob und wie die erforderlichen Mittel tatsächlich zur ­Verfügung gestellt werden, bleibt bislang das Geheimnis des auf die Einhaltung der Schuldenbremse pochenden Ministers. ­

Offenbar denken einige in der Koalition vorsorglich schon daran, sich erst einmal auf Reformen zu konzentrieren, „die nichts kosten“. Damit wäre auch ein Scheitern der Bundesbildungsministerin „mit Ansage“ vorprogrammiert.

GEW: „Kein Reförmchen, sondern eine Reform der Ausbildungsförderung!“

Die Studierenden, Schülerinnen und Schüler dürfen aber nicht mit einem Reförmchen vertröstet werden, betonte der Stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller. Die GEW wünscht einen Höchstfördersatz von 1200 Euro (jetzt unter 1.000). Siehe Link unten.

Siehe auch im zwd-POLITIKMAGAZIN Ausgabe 392:

  • 1970: "Chancengleichheit"– Leitbegriff der SPD/FDP-­Koalition unter Willy Brandt für die Reform des Bildungswesens und die Ausbildungsförderung
  • 2022: "Chancengerechtigkeit" als Ausdruck von Leistungsgerechtigkeit beim BAFÖG – Abkehr von den traditionellen Wurzeln des liberalen Denkens

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