Im Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) stellte die frauenrechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Carmen Wegge als Leitgedanken heraus, dass "wir uns als SPD stark für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen". Der Schutz des ungeborenen Lebens und das Selbstbestimmungsrecht der Frau müssten verhältnismäßig ausgestaltet sein, fügte die SPD-Politikerin hinzu. Vier Kernforderungen rückte Wegge dabei in den Mittelpunkt:
- Schwangerschaftsabbrüche müssen aus dem StGB
- Rechtsanspruch auf Beratung statt Beratungspflicht
- Neue Fristenregelungen orientiert an wissenschaftlichen Erkenntnissen
- Schwangerschaftsabbrüche als Kassenleistung
Das Positionspapier war von einer Fraktionsarbeitsgruppe erarbeitet worden, in der die Parlamentarische Geschäftsführerin Josefine Ortleb, die frauenpolitische Sprecherin Leni Breymaier, die rechtspolitische Sprecherin Sonja Eichwede sowie die SPD-Bundestagsabgeordneten Heike Engelhardt, Tina Rudolph, Jan Plobner und Felix Döring mitgewirkt haben.
Eichwede und Breymaier: Strafrechtsregelung mit dem Grundrecht der Schwangeren nicht vereinbar
In einer Mitteilung der Fraktion unterstrich Eichwede, die aktuelle Regelung berücksichtige das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nicht ausreichend. Die Regelung im Strafrecht, wonach ein selbstbestimmter Schwangerschaftsabbruch als Unrecht bewertet werde, sei mit dem Grundrecht der Schwangeren nicht vereinbar. Breymaier fügte hinzu,die Verbesserung der Versorgungslage von ungewollt schwangeren Frauen in Deutschland sei dringend geboten. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die bereit seien, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, hat sich nach Angaben der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion innerhalb der letzten 20 Jahre fast halbiert. Ein Grund dafür sei die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. In Regionen wie Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sei eine wohnortnahe medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet.
Selbstbestimmungsrecht
von Frauen stärken –
Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren
Frauen haben ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und ein Recht darauf, über ihren Körper, ihre Familienplanung und ihr Sexualleben selbst zu entscheiden. Dieses Recht wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion stärken.
Eine ungewollt schwangere Frau, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, handelt nach der heutigen Rechtslage gegen ein strafrechtliches Verbot. Dies gilt auch für Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Der Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich rechtswidrig. Auf Grundlage der so genannten Beratungsregelung bleiben Ärztinnen und Ärzte und die Schwangeren unter bestimmten Bedingungen dennoch straffrei.
Auch auf Grundlage einer medizinischen oder einer kriminologischen Indikation ist ein Schwangerschaftsabbruch möglich. Dann ist er nicht rechtswidrig. Das betrifft jedoch rund vier Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland.
Die aktuelle Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen muss überarbeitet werden
Wir sprechen uns für eine alternative Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuchs mit einem besseren Schutzkonzept für das ungeborene Leben aus. Das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen wird durch die aktuelle Regelung nicht ausreichend berücksichtigt. Die Pflicht zum Austragen einer Schwangerschaft greift tief in das körperliche und reproduktive Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Frau ein. Gleichzeitig haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert, denn das Selbstbestimmungsrecht hat im Verfassungsrecht, Europarecht und Völkerrecht in den letzten Jahrzehnten ein größeres Gewicht bekommen. Internationale Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation und verschiedene Vertragsausschüsse der Vereinten Nationen sehen den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen als grundlegendes Menschenrecht an. Nur durch eine vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen kann diese menschenrechtliche Verpflichtung erfüllt werden.
Auch die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin hält für die Frühphase der Schwangerschaft eine Änderung für zwingend, da die Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungslösung – jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft – nicht mit den Grundrechten der Schwangeren vereinbar sei. Sie sieht bis zum Zeitpunkt der eigenständigen Überlebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Uterus einen gesetzgeberischen Handlungsspielraum für eine Neuregelung außerhalb des Strafrechts. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und die Rechte der Schwangeren müssen daher neu austariert werden.
Die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch hat eine stigmatisierende Wirkung. Sie belastet Frauen und Familien in einem Schwangerschaftskonflikt zusätzlich und erschwert Ärztinnen und Ärzten die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. Beschäftigte von Beratungsstellen erleben ebenfalls Stigmatisierung.
Ungewollt schwangere Frauen stoßen heute auf Hindernisse beim Zugang zu Informationen und medizinischer Versorgung. Die Versorgungslage ist regional sehr unterschiedlich; in Regionen wie Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist eine angemessene und wohnortnahe medizinische Versorgung nicht gewährleistet. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, geht seit Jahren stark zurück. Sie hat sich innerhalb der letzten 20 Jahre fast halbiert. Es droht eine weitere Verschärfung, weil praktizierende Ärztinnen und Ärzte absehbar in den Ruhestand gehen und keine Nachfolgeregelungen getroffen werden können.
Barrieren gibt es auch bei den Kosten. Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungslösung können aufgrund des strafrechtlichen Verbots nicht über die gesetzliche Krankenversicherung erstattet werden. Stattdessen werden die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch für Frauen mit geringem Einkommen vom jeweiligen Bundesland übernommen.
Die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch hat nicht zu einer Reduzierung von Schwangerschaftsabbrüchen geführt. Die jährliche Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland ist seit einem Rückgang zwischen den Jahren von 2001 bis 2012 relativ stabil.
Eine gesetzliche Neuregelung ist trotz der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts möglich. Die aktuelle Regelung ist zwar wesentlich von zwei Urteilen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1975 und 1993 geprägt, die eine Regelung innerhalb des Strafgesetzbuchs vorsehen. Allerdings entfalten die Urteile keine Bindungswirkung für den Gesetzgeber, wenn die Neuregelung auf veränderte Verhältnisse gestützt wird. Die Verhältnisse haben sich aufgrund der heutigen Gewichtung des Selbstbestimmungsrechts, der veränderten menschenrechtlichen Beurteilung von reproduktiven Rechten und der weiter fortschreitenden Verschlechterung der Versorgungslage gravierend verändert.
Für ein neues Schutzkonzept für das ungeborene Leben
Für uns ist ein wirksames und angemessenes alternatives Schutzkonzept für das ungeborene Leben Voraussetzung für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts.
Eine gute Unterstützung von ungewollt schwangeren Frauen und Familien kann Schwangerschaftsabbrüche verhindern. Denn die Lebensumstände bestimmen oft, ob eine Schwangerschaft ungewollt oder gewollt ist. Die Mehrzahl der Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, haben bereits ein oder mehrere Kinder geboren. Eine ungewollte Schwangerschaft tritt aber auch häufiger bei einer angespannten finanziellen Situation oder einer krisenhaften Partnerschaft auf und betrifft besonders vulnerable Frauen wie solche mit Gewalterfahrung. Wir halten es deswegen grundsätzlich für erforderlich und wichtig, dass Frauen und Familien zu Unterstützungsmöglichkeiten des Staates sowie zu ergebnisoffener und unabhängiger Beratung einen niedrigschwelligen und guten Zugang haben – unabhängig davon, ob die Schwangerschaft gewollt oder ungewollt ist.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Familien und Alleinerziehende werden besser unterstützt. Konkrete Beispiele dafür sind der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, die Einführung des Mindestlohns und des Bürgergelds und die Ausweitung des Wohngelds sowohl der Höhe nach wie auch in der Anzahl der Anspruchsberechtigten. Auch die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Beruf hat sich verbessert. Dazu haben die Einführung der Elternzeit und des Elterngeldes beigetragen.
Durch weitere Maßnahmen wie den Einsatz für bezahlbares Wohnen, die Abschaffung des Ehegattensplittings sowie verlässliche Kinderbetreuung, auch für Grundschulkinder, können wir den Frauen und Familien die Entscheidung für die Schwangerschaft weiter erleichtern.
Wir wollen mehr Forschungsmittel für Verhütungsmittel für alle Geschlechter, gerade auch für Männer.
Klare gesetzliche Voraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch
Ein Schwangerschaftsabbruch soll auch weiterhin klare gesetzliche Voraussetzungen haben.
Selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche sollen außerhalb des Strafrechts im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden. Schwangerschaftsabbrüche sollen bis zu einer gesetzlich zu bestimmenden konkreten Frist legalisiert werden. Wir sprechen uns für eine Frist aus, die an der Überlebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Uterus mit ausreichend zeitlichem Abstand anknüpft. Sobald eine Überlebenschance des Fötus außerhalb des Uterus in Einzelfällen besteht, muss ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verboten sein.
Die Voraussetzungen für einen Abbruch nach medizinischer oder kriminologischer Indikation sollen ebenfalls im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden. Bei medizinischer Indikation soll für die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin keine Frist gelten.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch sollen durch strafrechtliche Sanktionen flankiert werden. Für die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs nach Ablauf der gesetzlichen Frist sollen Ärztinnen und Ärzte, nicht aber die Schwangere, strafrechtlich sanktioniert werden können. Schwangerschaftsabbrüche gegen den Willen oder ohne Zustimmung der Schwangeren sollen selbstverständlich ebenfalls strafbar sein. Zu diesem Zweck soll ein zusätzlicher Straftatbestand im Strafgesetzbuch geschaffen werden.
Ersetzung der Beratungspflicht durch einen Rechtsanspruch auf Beratung
Die Pflicht zur Beratung widerspricht dem fachlichen Beratungsstandard der Freiwilligkeit. Deshalb soll die Beratungspflicht durch einen Rechtsanspruch auf Beratung rund um Schwangerschaft und Schwangerschaftskonflikt ersetzt werden.
Unser Ziel ist, dass möglichst viele Frauen eine rechtebasierte und psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen. Bestandteile der Beratung sollen unter anderem staatliche Unterstützungsleistungen, vertrauliche Geburten und die Familienplanung sein. Die Beratungsinfrastruktur, deren Finanzierung und ein leichter und wohnortnaher Zugang zu Beratung müssen weiter gesichert sein und dürfen nicht reduziert werden.
Wir sind davon überzeugt, dass eine Beratung hilft. Durch eine Beratung erhalten ungewollt schwangere Frauen Zugang zu verlässlichen Informationen und die Gelegenheit zur Reflektion unabhängig von äußerem Druck. Die Beratung hat daher eine wichtige Funktion. Ärztinnen und Ärzte sollen verpflichtet werden, im Rahmen der medizinischen Aufklärung auf psychosoziale Beratungsangebote hinzuweisen. Das ermöglicht den betroffenen Frauen, ihre Entscheidung noch einmal sorgfältig zu reflektieren, mit vertrauten Menschen darüber zu beraten oder ein professionelles Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen.
Weitere Maßnahmen für eine bessere Versorgung
Schwangerschaftsabbrüche sollen kostendeckend durch die Krankenkassen finanziert werden und Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen werden.
Das ärztliche Weigerungsrecht, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, soll grundsätzlich beibehalten werden. Wir setzen uns aber dafür ein, dass eine ärztliche Aufklärung und Beratung sowie eine Vor- und Nachsorge von allen Ärztinnen und Ärzten geleistet werden kann. Krankenhäuser, denen die Leistungsgruppe Gynäkologie zugewiesen und finanziert wird, sollten verpflichtet werden, entweder selbst Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen oder schwangere Personen, die dies wünschen, an eine geeignete Stelle weiterzuleiten. Der Sondervertriebsweg zur Beschaffung von Medikamenten, die für den Schwangerschaftsabbruch benötigt werden, soll abgeschafft werden. Schwangere sollen ein Recht auf Methodenwahl bei Schwangerschaftsabbrüchen haben. Dazu bedarf es einer rechtssicheren Regelung für den medikamentösen Abbruch und für eine telemedizinische ärztliche Behandlung. Wir setzen uns dafür ein, dass Schwangerschaftsabbrüche noch besser in die medizinische Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten integriert werden. Schwangerschaftsabbrüche sollen über die Approbationsordnung zu einem verbindlichen Inhalt des Lernzielkatalogs werden.
Es soll sichergestellt werden, dass das Heilmittelwerbegesetz einer Information über Notfallverhütungsmittel wie die so genannte Pille danach nicht entgegensteht.
Sogenannte Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern vor Beratungseinrichtungen sowie Arztpraxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sollen unterbunden werden und als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden können.
Die Streichung des Werbeverbots für den Schwangerschaftsabbruch in § 219a StGB war ein wichtiger
Beitrag für einen besseren Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche. Fehlinformationen über Schwangerschaftsabbrüche, insbesondere zum sogenannten Post-Abortion-Syndrom, wollen
wir durch eine Stärkung von seriösen, staatlichen Informationsangeboten entgegentreten. Um gegen irreführende Beratungsangebote vorzugehen, sollen bestehende rechtliche Möglichkeiten noch besser genutzt werden.