TAG GEGEN GEWALT AN FRAUEN / POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK : UN: Jede Stunde fünf Femizide - Bundesregierung übernimmt Begriff offiziell

24. November 2022 // Holger H. Lührig

Einen Tag vor dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen hat die Bundesregierung erstmals den Begriff Femizide als Beschreibung für Tötungsdelikte gegenüber Frauen verwendet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Wenn Männer Frauen töten, weil sie Frauen sind, dann ist es angemessen und auch notwendig, von „Femizid“ zu sprechen. Die Vereinten Nationen und UN Women prangerten in einer am 24. November veröffentlichten Mitteilung an, dass pro Stunde durchschnittlich fünf Frauen und Mädchen von ihren Partnern oder Familienmitgliedern getötet werden.

Laut einem Bericht der UNO-Organisationen UNODC und UN Women wurden 56 Prozent aller Morde an Frauen und Mädchen im Jahre 2021 von Partnern oder Familienmitgliedern verübt. Im gleichen Zeitraum waren es den Morden an Männern elf Prozent. Die Organisationen wiesen zugleich darauf hin, dass sich die „alarmierend hohe“ Zahl der sogenannten Femizide in den vergangenen Jahren kaum verändert habe. Zudem müsse von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Ein besserer Schutz von Frauen und Mädchen, auch in ihrem Zuhause sicher sein zu können, sei eine gesellschaftliche Aufgabe.

Partnerschaftsgewalt in Deutschland: Zahl der Opfer in fünf Jahren um 3,4 Prozent gestiegen

Bei der Vorstellung der Kriminalistischen Auswertung Partnerschaftsgewalt 2021 machten Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Bündnisgrüne), Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, deutlich, dass die Anzahl der Opfer von Gewalt in Partnerschaften, die im Zeitraum von 2020 auf 2021 noch rückläufig war (-3,4%), im vergangenen Jahr von 138.893 in 2017 auf 143.604 angestiegen sei. Vorwiegend träfe die Gewalt Frauen, während die Täter meist Männer seien: 2021 waren 80,3 Prozent der Opfer weiblich, 78,8 Prozent der Tatverdächtigen waren männlich. Das ergab eine Sonderauswertung der Polizeistatistik 2021.

Ministerin Paus kämpft nach eigenen Worten dafür, die Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen zu schließen: „Wir werden eine einheitliche Rechtsgrundlage schaffen, um die Hilfeeinrichtungen verlässlich finanziell absichern zu können. Damit Frauen in Zukunft überall in Deutschland einen sicheren Zufluchtsort und kompetente Beratung und Hilfe finden.“ Paus beschrieb die bundesdeutsche Realität mit der Feststellung: „Jede Stunde erleiden durchschnittlich 13 Frauen Gewalt in der Partnerschaft. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Expartner eine Frau zu töten. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch ihren derzeitigen oder vorherigen Partner." Weil es aber auch Realität sei, dass viele Gewaltopfer Angst hätten, sich Hilfe zu holen, plädierte Paus für ein flächendeckendes, niedrigschwelliges Unterstützungsangebot, in der Stadt genauso wie auf dem Land.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstrich: „Wir dürfen Gewalt gegen Frauen niemals akzeptieren. Sondern wir müssen ihr entschlossen entgegentreten! Für uns als offenes und demokratisches Land ist die Gleichstellung von Männern und Frauen ein unabdingbarer Teil unseres gesellschaftlichen Wertefundamentes. Wir müssen Gewalt gegen Frauen noch klarer als solche benennen und noch besser erfassen, um sie wirksam bekämpfen zu können. Es darf keinerlei Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen geben. Wenn Männer Frauen töten, weil sie Frauen sind, dann ist es angemessen und auch notwendig, von „Femizid“ zu sprechen. Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben, egal ob psychische oder physische, sind Straftäter. Straftäter, die wir mit aller Härte verfolgen. Denn was sie tun, ist abscheulich und steht unseren gesellschaftlichen Grundwerten fundamental entgegen.“

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch: „Der Begriff Partnerschaftsgewalt umfasst sowohl psychische als auch physische Gewalttaten – bis hin zu Tötungsdelikten. Auch wenn wir mit -2,5% der Fälle in 2021 einen leichten Rückgang verzeichnen, zeigt die Tendenz bei den registrierten Fallzahlen in diesem Kriminalitätsbereich in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach oben. Zudem werden viele dieser Taten, denen inmitten unserer Gesellschaft tagtäglich weit überwiegend Frauen zum Opfer fallen, nach wie vor nicht bei der Polizei gemeldet. Für das BKA ist es daher eine Kernaufgabe, das Dunkelfeld weiter auszuleuchten und mit entsprechender Forschung Informationen zur Verbreitung, Risikofaktoren, dem Anzeigever-halten sowie der Nutzung von Hilfs- und Unterstützungsangeboten zu gene-rieren. Denn nur auf Grundlage einer soliden Datenbasis lassen sich wir-kungsvolle Bekämpfungs- und Präventionskonzepte erarbeiten. Darüber hin-aus gilt: Hinsehen statt wegschauen! Sowohl die Beratungsstellen als auch die Polizei sind für Sie da. Jede Anzeige eines solchen Delikts – durch Be-troffene selbst, aber auch durch Zeuginnen und Zeugen – trägt dazu bei, die Täter zur Verantwortung zu ziehen.“

Seit 1981 organisieren Menschenrechtsorganisationen alljährlich zum 25. November Veranstaltungen, bei denen die Einhaltung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen auf die Agenda gesetzt werden. Die Vereinten Nationen haben den 25. November 1999 zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen bestimmt, der inzwischen unter der Bezeichnung „Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen“ stattfindet. Grundlage war die Verabschiedung der Resolution 54/134, die auf der 83. Plenarsitzung am 17. Dezember 1999 von der UN-Vollversammlung ohne Abstimmung ohne Aussprache angenommen wurde. Nach Angabe von UN Women Deutschland macht die UN-Kampagne „Orange The World“ seit 1991 auf Gewalt aufmerksam: Die Kampagne läuft vom Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte. Sie ist seit 2008 Teil der „UNiTE to End Violence against Women“ Kampagne des UN-Generalsekretärs, die von UN Women durchgeführt wird.


Amtliche Auswertung der Polizeistatistik

Gemäß Regierungsmitteilung lassen sich folgende Kernfeststellungen zur Partnerschaftsgewalt 2021 treffen (in Klammern die Angaben für 2020):

  • 143.016 Fälle von Gewalt in Partnerschaften (146.655)
  • 143.604 Opfer (148.031), davon 80,3 % weiblich (115.342), 19,7 % männlich (28.262)
  • Art der Delikte:

  • 59,6 % vorsätzliche einfache Körperverletzung
  • 24,2 % Bedrohung, Stalking, Nötigung
  • 12,2 % gefährliche Körperverletzung
  • 2,5 % Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexuelle Übergriffe
  • 0,3 % Mord und Totschlag
  • 1,3 % andere Delikte

  • Die Polizeiliche Kriminalstatistik registriert die Straftaten nicht nach der Tatzeit, sondern zum Zeitpunkt der Abgabe an die Staatsanwaltschaft.

    2021 wurden insgesamt 369 Personen als Opfer von versuchtem und vollendeten Mord und Totschlag (0,3 %) erfasst. Die Anzahl der Opfer bei vollendetem Mord und Totschlag lag bei 121, davon 109 weibliche und 12 männliche. Hinzu kommen vier Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge durch Partnerschaftsgewalt bei Frauen und zwei Fälle bei Männern. Damit sind 113 Frauen und 14 Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang geworden.

    Trotz Pandemie und Corona-Schutzmaßnahmen ergab sich auch 2021 kein signifikanter Anstieg der Fälle von Partnerschaftsgewalt: Insgesamt wurden 139.327 Fälle von Partnerschaftsgewalt mit Tatzeit innerhalb des Jahres 2021 registriert. Das entspricht einem Anstieg von 0,6 % verglichen mit dem Vorjahr. Möglicherweise hat die Situation während der Pandemie das Anzeigeverhalten von Opfern und die Möglichkeiten zur Aufdeckung durch Dritte beeinflusst. Daher könnte sich das tatsächliche Ausmaß von Partnerschaftsgewalt vergrößert haben, ohne von der Polizei registriert zu werden. Darauf deuten die Auswertungen des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ hin. Diese zeigen, dass die Zahl der Beratungskontakte in den Corona-Lockdowns zugenommen hat: 2021 wurden mehr als 54.000 Bera-tungen dokumentiert, rund fünf Prozent mehr als im Vorjahr.

    Um einen besseren Einblick in das sogenannte Dunkelfeld zu erhalten, führen das Bundesinnenministerium und das Bundesfrauenministerium gemein-sam mit dem Bundeskriminalamt eine repräsentative Befragung zu Gewalterfahrungen durch, die nicht der Polizei gemeldet wurden. Die Studie soll helfen, Kenntnisse über das Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt und sexualisierter Gewalt zu sammeln, um Hilfsangebote und Opferschutzangebote zielgenau ausbauen zu können.

    Weitere Informationen unter: www.bka.de/lesubia

    Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet Frauen unter der Nummer 08000 116 016 rund um die Uhr kostenlose und anonyme Beratung in 18 Sprachen an. Weitere Informationen unter www.hilfetelefon.de

    Die Kriminalistische Auswertung Partnerschaftsgewalt 2021 des Bundeskriminalamtes finden Sie hier:

    https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/Statis...

    Ausführlich auch im zwd-POLITIKMAGAZIN 394.

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