Die Ampel ist besser als ihr Ruf, wenn nicht die ... (drei Punkte) wären
Die „F.D.P.“ hatte in der Ära des Parteivorsitzenden Guido Westerwelle 2001 diese drei Punkte aus dem Parteilogo gestrichen, weil sie davon träumte, auf gleiche Augenhöhe mit den Volksparteien SPD und CDU aufsteigen zu können. Zum damals ausgegebenen 18-Prozent-Ziel passten so nach dem Urteil der FDP-Oberen die drei Punkte nicht mehr, wie DER SPIEGEL damals, am 6. Mai 2001, berichtete.
2009: Nach kurzem Höhenflug schneller Absturz
Es dauerte dann zunächst noch acht Jahre, bis FDP-Chef Westerwelle am Ziel seiner Wünsche war. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichten die Freien Demokraten zwar nicht 18 Prozent, aber immerhin 14,9 Prozent der Wählerstimmen und konnten sich damit als Juniorpartner:innen im 2. Kabinett von Angela Merkel (CDU) etablieren. Doch kaum mit fünf Minister:innen im Amt – so viele wie nie zuvor in der FDP-Geschichte –, stürzte die Partei danach binnen neun Monaten in der Wählergunst ab (laut ARD-Deutschlandtrend vom 15. Juni 2010 auf 5 Prozent). Vorausgegangen waren Querelen mit CDU und CSU, unter anderem über Steuererhöhungen und -senkungen, beispielsweise der Umsatzsteuer für Hotelübernachtungen („Mövenpick-Steuer). Letztlich flog die FDP 2013 – trotz oder wegen vierjähriger Regierungsbeteiligung – mit einem Stimmenanteil von 4,8 Prozent aus dem Bundestag. In der Öffentlichkeit war unübersehbar geworden, dass die Idealkonstellation „Schwarz-Gelb“ nicht so zusammenpasste, wie das im Vorfeld die Liberalen suggeriert und auch die Unionsparteien erwartet hatten.
2021: Die Geschichte klingt nach Wiederholung
Der aktuelle Absturz der FDP seit dem Einstieg in die Ampel klingt wie eine Wiederholung der Geschichte. Die FDP, immerhin Regierungspartei, hatte vor der Bundestagswahl 2013 bereits bei einer Reihe von Landtagswahlen den Einzug in die Parlamente verpasst (Bremen: 2,4 %, Mecklenburg-Vorpommern 2,7 %, Berlin 1,8 %, Saarland 1,2%, Bayern 3,3 %). Nur dank besserer Wahlergebnisse in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vermochte sie ihr Überleben zu sichern.
Prognosen sehen FDP unter fünf Prozent
Ein historischer Vergleich von 2013 zu heute lässt sich bekanntlich nur bedingt ziehen, aber die Zahlen lassen Parallelen bei der FDP erkennen:
2021: Bundestag 11,5 %;
2022: Saarland 4,8 %; Schleswig-Holstein 6,7 % – minus 5,7 %; Niedersachsen 4,7 %; NRW 5,9 % – minus 6,7 %;
2023: Wiederholungswahl Berliner Abgeordnetenhaus 4,6 % – minus zur ungültigen Wahl von 2021 2,5 %;
2024: Bundestags-Wiederholungswahl Berlin – minus 5,7 %
und Verlust eines Bundestagsmandates.
Ein Blick auf die aktuellen Meinungsumfragen macht deutlich, dass die FDP bei den Europawahlen am 9. Juni bei 3,0 - 4,0 % dümpelt, ebenso wie bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen (01.09.24) sowie in Brandenburg (22.09.24). Die Lindner-Partei kann es dabei nicht trösten, dass auch SPD, Grüne und Linke jeweils deutlich an Zustimmung eingebüßt haben.
FDP-Manöver beschädigen deren eigenes Ansehen und den „bekennenden Sozialliberalen“ Scholz
Dass vor allem die SPD bei der Bundestagswahl-Sonntagsfrage um mehr oder weniger als zehn Prozent zurückgefallen ist, liegt für die Mehrzahl der politischen Beobachter:innen einerseits in der Art des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz begründet, dem die Rolle als schweigsamer Moderator offenbar eher gefällt als deutliche politische Kursbestimmungen. Dass Scholz, der sich unlängst sogar als ein „bekennender Sozialliberaler“ outete, aus inhaltlichen Gründen (z.B. bei der Schuldenbremse), aber auch zum Erhalt seiner Kanzlerschaft wiederholt auf die Seite der FDP geschlagen hat, ist von dort wenig honoriert worden. In ihrer – von FDP-Chef Christian Lindner – ausgegebenen, fast unversöhnlichen Haltung, sie müsse Deutschland in der Bundesregierung vor dem „Linksbündnis“ von SPD und Grünen schützen, hat die FDP bereits wenige Monate nach dem Start der Ampel die Rolle der Opposition in der Regierung eingenommen. Das konnte nur so lange gut gehen, als die Kasse stimmte und Verteilungskämpfe mit Geld zugekleistert werden konnten. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und dem Urteil des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Sondervermögen hat sich die innenpolitische Lage in Deutschland dramatisch verändert.
SPD muss Scholz stärker in die Pflicht nehmen
Eine Regierung, die sich in regelmäßiger Wiederkehr aufgrund unterschiedlicher Weltanschauungen – vor allem zwischen SPD und Grünen einerseits und der FDP andererseits – im Streit zerlegt, erntet bei der Wählerschaft Missmut und Überdruss. Die überspitzten Kampagnen bis hin zur Herabsetzung und Hetze aus parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition liefern den Nährboden für eine medial aufgeheizte Stimmungslage. Damit wiederum befeuern sie die Meinungsmache an die Adresse jener politikverdrossenen Teile der Bevölkerung, zu denen rationale Argumentationen nicht mehr durchdringen. Die Glaubwürdigkeit der politischen Akteur:innen steht auf dem Spiel, je länger sich der Kanzler dem notwendige Klartext verschließt und Emotionen in falsche Richtungen laufen lässt.
Wie 1982 läutet die FDP schon wieder das Ende einer Koalition ein
Als einzige der Koalitionsparteien hat die FDP parteiintern eine Debatte über den Koalitionsausstieg zugelassen und lässt sie durch Äußerungen über schwarz-gelbe Träumereien weiter schwelen. Sie verstärkt damit den Frust bei ihren Regierungspartner:innen auf Bundesebene und macht sich selbst das Überleben schwer. Denn mittlerweile kommen Erinnerungen an 1982 hoch, als die FDP-Spitze (Hans-Dietrich Genscher und Alexander Graf Lambsdorff) mutwillig das Ende der seit 1969 bestehenden sozialliberalen Koalition herbeiführten, indem sie den sozialdemokratischen Kanzler Helmut Schmidt stürzten und an seiner Stelle den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl auf den Kanzler-Stuhl hievten. Die FDP – kein verlässlicher Partner?
So empfanden es auch CDU/CSU und Grüne 2017, als FDP-Chef Lindner die Verhandlungen über eine „Jamaika“-Koalition am 20. November 2017 mit dem Satz platzen ließ: „Bessert nicht regieren, als falsch regieren“. Nun könnte der Spruch unfröhliche Urständ feiern.
Doch die Lage ist nicht nur aufgrund der aktuellen Meinungsumfragen anders. Einerseits: Eine schwarz-gelbe Mehrheit ist nicht in Sicht, eher schon Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot (wenn sich die SPD wie in Hessen dafür hergäbe). Gerade FDP-Vize Wolfgang Kubicki, in dessen Stammland Schleswig-Holstein sich die FDP gerade noch über die Fünf-Prozent-Klausel retten konnte, hat die Ampel-Koalition in Frage gestellt. Eigentlich hätte der FDP-Vize aus seinem Land lernen müssen, dass seine Partei nach dem Absturz bei den Landtagswahlen in Kiel als Koalitionspartnerin nicht mehr gebraucht wurde.
Die Austeritätspolitik des FDP-Finanzministers erinnert an den Zusammenbruch der Weimarer Republik
Andererseits: Als Blockademeister haben die Freien Demokraten schon fast jeglichen Kredit verspielt – nicht nur bei den Regierungspartnerinnen SPD und Grünen, sondern vor allem in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft.
Schließlich: Das ideologisch verbrämte Festhalten des Bundesfinanzministers an der Schuldenbremse ist nach Überzeugung sowohl von Wirtschaftsexpert:innen (einschließlich der Wirtschaftsweisen) unvernünftig und stößt sogar bei den meisten, zum Teil CDU-geführten Landesregierungen auf Unverständnis. Lediglich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz stützt derzeit Lindner aus durchsichtigen parteitaktischen Gründen. Er wird ihn aber fallen lassen, wenn das seine eigene Kanzlerkandidatur gefährden würde.
Lindner ist zu jung und zu unerfahren, um zu wissen, wie der sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister und Wirtschaftsprofessor Karl Schiller in den End-Sechziger Jahren die deutsche Wirtschaft aus der Krise zu führen . „Die Pferde müssen saufen können“, umschrieb Schiller 1966 bei seinem Amtsantritt als Bundeswirtschaftsminister seine politische Überzeugung in Übereinstimmung mit der vom britischen Ökonom John Maynard Keynes entwickelten Theorie: Bei wirtschaftlichen Krisen gelte es, die Wirtschaft durch vermehrte Staatsausgaben und eine expansive Geldpolitik zu beleben. Das wäre auch heute der Schlüssel für die durch die Transformation geforderte Wirtschaftsentwicklung.
Stattdessen verfolgt Lindner – offenbar mit öffentlich nicht erkennbarer – Unterstützung des Kanzlers eine Austeritätspolitik, die trotz wirtschaftlicher Rezession für eine strenge Sparpolitik des Staates steht. Welche Folgen eine solche Politik gerade in einer Zeit des Aufkommens rechtsextremistischer Parteien hat, ist in einer im März 2021 im „Journal für Economic History“ publizierten Untersuchung eines Autorenteams der britischen Universität Cambridge eindrucksvoll beschrieben worden, die den Niedergang der Weimarer Republik im Zusammenhang mit der Austeritätspolitik zwischen 1930 und 1933 analysiert hat.1
Ein gefährliches Gebräu von Sparpolitik
Daraus lässt sich für heute lernen, dass Sparmaßnahmen zulasten von sozial benachteiligten Menschen, wie sie Lindner und Merz beispielsweise mit der Kürzung oder Aufhebung des Bürgergeldes befürworten, rechtspopulistische und -extremistische Kreise geradezu einladen, den Staat und seine demokratische Regierungsform in Frage zu stellen. Mit der Unterlassung von Investitionen – in eine in 16 Jahren CDU-geführter Bundesregierungen kaputtgesparte Infrastruktur – entsteht ein politisch brisantes Gebräu. Die Weigerung der FDP, eine Reform der Schulden überhaupt in Betracht zu ziehen, wird dem Land schweren Schaden zufügen. Wenn einer ideologisch verhärteten FDP keine Einsicht abzuringen ist, muss der Kanzler im Einvernehmen mit den Länderregierungschef:innen eine alternative Perspektive der Vernunft und des Aufbruchs im Zeichen rechtspopulistischer Herausforderungen entwickeln. Andernfalls droht er (mit der FDP) in die Geschichte als zweiter Brüning einzugehen.
Die Sündenregister der Blockaden
Die FDP wird weder der eigenen Klientel noch erhofften Wähler:innen gerecht. Sie ist im Image der selbstverordneten Blockiererin gefangen. Begonnen hat sie diese Rolle schon sehr früh, als die Ampel noch „heil“ schien. Jetzt lassen sich die Blockadebeispiele nicht mehr an zwei Händen abzählen, darunter:
- Geschlechtergerechte Wahlrechtsreform (Ziel Parität)
- Reform der Schuldenbremse
- Reform des § 218a
- EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Frauengewalt
- Bürgergeld
- Kindergrundsicherung
- BAföG-Reform
- Digitalpakte 2.0
- Startchancenprogramm
- Wissenschaftszeitvertrag
- Lieferkettengesetz gegen Kinderarbeit.
So jedenfalls kann es für die Liberalen nicht gut gehen. Der Rauswurf aus der Regierung kommt - vor oder nach der Bundestagswahl 2025.