223. INNENMINISTERKONFERENZ - GEWALT GEGEN FRAUEN : SPD: Elektronische Fußfesseln schaffen Schutzraum für Opfer

16. Juni 2025 // Ulrike Günther

Die Innenministerkonferenz (IMK) hat im Kampf gegen Gewalt an Frauen für den Einsatz elektronischer Fußfesseln nach spanischem Modell gestimmt, die SPD fordert für das rasche Umsetzen einen Staatsvertrag. Deutscher Frauenrat (DF) und Frauenhauskoordinierung (FHK) setzen sich darüber hinaus für Schulungen von Polizeifachkräften und Migrantinnen-Schutz ein, die Linke für strafgesetzliche Anerkennung von Femiziden. Die Koalition beabsichtigt, einen Nationalen Aktionsplan zu entwickeln und Anti-Gewalt-Trainings für Täter einzuführen.

Elektronische Fußfesseln sollen gewaltbedrohte Frauen vor Tätern schützen. - Bild: vecteezy/ T. Jorruang
Elektronische Fußfesseln sollen gewaltbedrohte Frauen vor Tätern schützen. - Bild: vecteezy/ T. Jorruang

zwd Berlin. Die elektronische Überwachung des Aufenthalts (potenzieller Gewalttäter) sei „ein entscheidendes Instrument im Kampf gegen Femizide“, betonte der Vorsitzende der IMK und Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Dass die IMK sich einig sei, die Kapazitäten der in Hessen angesiedelten Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) zu erweitern, bezeichnete Mäurer anlässlich des Beschlusses der 223. IMK am 13. Juni als „wichtige(n) Schritt“. Die Zahlen würden eine deutliche Sprache sprechen, erklärte der IMK-Vorsitzende. „Die meisten Femizide geschehen nach Trennungen, wenn Männer ihre ehemaligen Partnerinnen als Besitz betrachten und der Kontrollverlust zur tödlichen Bedrohung wird“, so Mäurer. Genau an diesem Punkt setze die elektronische Überwachung (EAÜ) mittels Fußfesseln an, sie schaffe den nötigen „Schutzraum für gefährdete Frauen“.

SPD: Maßnahmen über Staatsvertrag schnell umsetzen

Mäurer drängte darauf, die Maßnahmen rasch umzusetzen, wofür es „einen Staatsvertrag“ brauche. Die Frühjahrstagung der zweimal jährlich stattfindenden IMK fand vom 11. bis 13. Juni in Bremerhaven statt, die Länder übernehmen den Vorsitz für 12 Monate in alphabetischer Reihenfolge. Die elektronischen Fußfesseln nach dem sog. spanischen Modell werden seit Januar erstmalig bei einem sächsischen Täter angewendet. Der Unterschied zur herkömmlichen, bei angeordneter Führungsaufsicht eingesetzter EAÜ liegt nach Angaben des hessischen Justizministeriums darin, dass man nicht vordefinierte Verbotszonen überwacht, sondern auch ein in Bewegung befindliches Opfer schützen kann. Die am Täter befestigte elektronische Fußfessel kommuniziert demnach mit einer vom Opfer getragenen GPS-Einheit. Durch „dynamische geografische Sperrzonen“ löst das System Alarm aus, wenn sich Überwachter und Opfer mit oder ohne Absicht begegnen.

DF sieht spanisches Gewaltschutzsystem als Vorbild

Der DF, der Gewalt gegen Frauen und Femizide als „gesamtgesellschaftliches Problem“ begreift, mahnte, diese „länder- und ministerienübergreifend“ anzugehen. DF-Vorstandsmitglied Sylvia Haller schlug vor, die Länderminister:innen sollten u.a. „verpflichtende Fortbildungen zu Gewalt für die Polizei“ einführen, und wies auf das international gelobte, in Spanien geltende Gewaltschutzsystem hin. Dort gebe es z.B. „standardisierte Verfahren, um Hochrisikofälle zu erkennen, die Betroffenen besonders zu schützen und Femizide zu verhindern“. Die elektronischen Fußfesseln seien nur eine unter vielen Maßnahmen, die effektiv „bei einem Bruchteil aller gewaltbetroffenen Frauen“ infrage kämen. Neben Schulungen für Polizeifachkräfte, von denen alle gewaltbedrohten Frauen profitieren würden, könnten nach Hallers Ansicht auch Regelungen Frauengewalt und Femizide eindämmen, die von Gewalt betroffenen Migrantinnen eine Trennung vom Täter ermöglichen, ohne dass sie dadurch um ihren aufenthaltsrechtlichen Status fürchten müssten.

Thüringer Linke: „Femizide als eigenen Straftatbestand anerkennen"

Die gleichstellungspolitische Sprecherin der Linken-Landtagsfraktion in Thüringen Lena Saniye Güngör rief die IMK auf, dafür einzutreten, „Femizide als eigenen Straftatbestand anzuerkennen“, überdies systematisch Daten zu geschlechtsbezogener Gewalt zu erheben und den Aspekt von Frauengewalt in der geplanten Dunkelfeldstudie verstärkt auszubauen. Die FHK begrüßte, dass die Innenminister:innen Femizide als „sicherheitspolitisches Problem“ erkannt hätten, kritisierte jedoch, Gewalt an Frauen werde mit Migrationsdiskursen verknüpft, und warnte vor „einseitigen Lösungsansätzen“. Überfällig sei es nach Auffassung von FHK-Geschäftsführerin Sibylle Schreiber, Femizide als „geschlechtsspezifische Gewalt mit strukturellen Ursachen“ zu benennen. Elektronische Fußfesseln dürften aus Sicht der stellvertretenden FHK-Vorstandsvorsitzenden Dr. Katharina van Elten bloß ein Element „in einem umfassenden Schutzkonzept“ darstellen, „ohne flächendeckende Risikoanalysen und multidisziplinäre Fallkonferenzen“, kontinuierliche Begleitung gewaltbedrohter Frauen und – wie vom DF gefordert - Schulungen von Polizei- und Justiz-Beamt:innen hält sie den Ansatz kaum für tauglich.

FHK: Gewalt gegen Frauen kein „importiertes“ Problem

Schreiber machte sich angesichts der statistischen Daten mit 73,8 Prozent deutschen Tatverdächtigen im Bereich häuslicher Gewalt (Bundeslagebild Geschlechtsspezifische Gewalt, 2024) dafür stark, Frauengewalt nicht als „´importiertes´ Problem“ anzusehen. Die Täter würden „aus allen gesellschaftlichen Gruppen“ stammen, eine Stigmatisierung (auf Migrationshintergrund) verstelle „den Blick auf die eigentlichen Ursachen“. Die FHK-Geschäftsführerin unterstrich: „Wer Femizide mit Migration verknüpft, sucht Sündenböcke statt wirksame Präventionsansätze“. Die Statistiken zeigten, dass Migrantinnen von Gewalt überproportional betroffen seien, informierte der Frauenverein. Ca. ein Drittel der weiblichen Opfer von Partnerschaftsgewalt besitze eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit, demgegenüber betrage die Rate eingewanderter Frauen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung lediglich rund 12 Prozent. Auch der Anteil von Migrantinnen an den Schutzsuchenden in Frauenhäusern sei mit etwa 63 Prozent (2023) unverhältnismäßig hoch.

Union und SPD planen intensivere Vorsorge- und Täterarbeit

Nach Aussagen van Eltens verpflichtet die Istanbul-Konvention (IK) dazu, „gerade diese Frauen zu schützen – anstatt sie durch eine restriktive Migrationspolitik zusätzlich zu gefährden“. Die FHK verlangt daher zusätzlich zu den genannten Maßnahmen eine „gesamtgesellschaftliche Präventionsstrategie“, am Bedarf orientierte Finanzierung von Frauenhäusern, ebenso Gewaltschutz für Frauen und deren Kinder „unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus“. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt, die - im Dezember 2024 veröffentlichte - Gewaltschutzstrategie der Bundesregierung zum Nationalen Aktionsplan weiterzuentwickeln.

Sie würden „Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit“ intensivieren, die Arbeit der Koordinierungsstelle Geschlechtsspezifische Gewalt stärken und für Betroffene anonyme Spurensicherung, d.h. ohne Strafanzeige, gewährleisten, heißt es im Regierungsvertrag. Zudem würden sie u.a. für einen verbesserten Gewaltschutz von Frauen und anderen vulnerablen Personen ein weiteres Qualifikationsmerkmal im Fall von Mordtaten einführen und für gefährliche Körperverletzung sowie schweren Raub prüfen, den Tatbestand des Stalkings verschärfen und den Strafrahmen bei Gruppenvergewaltigungen grundsätzlich erhöhen. Um Lücken bei der Strafbarkeit zu beseitigen, erwägen die Koalitionspartner:innen auch einen erweiterten gesetzlichen Schutz bei erheblicher verbaler und nicht-körperlicher sexueller Belästigung.





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